Von denen Vampiren (3) – Ein Gespräch mit Markus Heitz

Als ich den ersten Artikel in meiner kleinen Vampir-Reihe veröffentlicht hatte, sprach mich eine Freundin an und meinte, sie wüsste da wen, der sich auch mit dem Thema auskennt. So machte sie mich mit Markus Heitz bekannt und wir uns sogleich ans Fachsimpeln:

Hallo Markus, ich freue mich sehr, dass ich einen Gesprächspartner in Sachen Vampire gefunden habe, den das Thema ebenso fasziniert wie mich! 😉 Angfangen hat meine Leidenschaft damals, als 1992 kurz nach meinem Abi Coppola’s Version von Bram Stoker’s Dracula in die Kinos kam und ich den zugrundeliegenden Briefroman gelesen habe. Danach fing ich an, mehr über den historischen Vlad den Pfähler und andere Vampirtexte und -Filme zu recherchieren und bin bis heute fasziniert. Wann und warum hast Du in Sachen Vampire Blut geleckt? 😉

Markus Heitz

Gewundert hatte ich mich schon immer, aber das Wissen aus Romanen einfach hingenommen.

Im Laufe des Geschichtsstudiums gesellte sich die professionelle Historiker-Neugier hinzu, und ich fing an zu forschen, wo die historischen Wurzeln für den Glauben an die Blutsauger liegen: Gab es eine aufgezeichnete Begebenheit? Wo lag der Auslöser? Wieso finden sich keine Dokumente aus Westeuropa?

So folgte eine Frage auf die nächste, und schon bald stolperte ich über Medvegia und die Jahreszahl 1731, den „first contact“ des Westens via Feldärzten mit den Vampiren und den passenden Volksglauben. Diese beiden Untersuchungsberichte aus dem kleinen Dörfchen Medvegia, in denen Leichen auf Vampirmerkmale hochoffiziell untersucht wurden, sind spannend zu lesen. Die Berichte gelangten aus den damals von den Habsburgern beherrschten Gebieten nach Wien und von da an die weiteren Königshäuser und Universitäten und legten den Grundstock für die losbrechende Diskussionswelle in Westeuropa.

Dann bemerkte ich, dass die wenigsten Leser von Vampirromanen zum einen die historischen Hintergründe kennen, zum anderen um die Vielfalt des Vampirglaubens wussten. Das wollte ich natürlich ändern. Auf unterhaltsame Weise, und so entstand der Roman „Die Kinder des Judas“.
Wie ging es Dir bei Deinen Recherchen – was überraschte Dich am meisten an den Vampiren?

Mich faszinierte, wieviele richtig alte Texte es schon über Vampirismus gibt – auch wenn es in der Antike noch anders genannt wurde. Und wie es je nach Kulturkreis anders beschrieben wird. Manchmal sind es nur Frauenwesen, die Babys und kleine Kinder töten (Erklärungsversuche für Kindersterblichkeit?), oder sehr sexuell ambitionierte Wesen (Fremdgehen unausweichlich?), bis hin zum klassischen Aus-dem-Grab-Steiger, der nachts ins Haus will und Blut saugt und würgt, bis die Opfer tot sind (Erklärungsversuche von Epidemien?).

Wie man jeweils versucht hat, sich zu schützen oder zu wehren, das beschreibst Du ja auch in Deinem Sachbuch „Vampire! Vampire!“ ausführlich. Manchmal sind die Rituale geradezu putzig simpel (verbuddelt ihn mit dem Gesicht nach unten, dann findet er nicht aus dem Grab), manchmal nah am Splatter (was man alles wie und womit durchbohren, abschneiden, verbrennen soll). Was ist Deine Lieblingsmethode, einen Vampir loszuwerden?

Markus Heitz

Das fand ich auch! Egal, in welchen Kulturkreis man schaute, von Südamerika bis in den orientalischen Raum, von Indien bis Japan – alle kennen und haben Schreckgestalten, die vom Drang nach Menschenblut geführt werden und die Lebenden heimsuchen. Mal sind sie eher gespenstisch, mal ähneln sie, wie Du schon sagtest, den Wiedergängern, die aus den Gräbern kommen, und das gehörte mit zum Faszinosum: die Vielfalt! Aber Du wolltest ja meine Lieblingsmethode kennenlernen, wie man einen Vampir eliminiert. Da bin ich der Sicherheitsspieler und kann zu hundert Prozent Feuer empfehlen. Es gibt diverse historische Aufzeichnungen über missglückte Pfählungsversuche, und dass der Vampir so eine Attacke nicht spaßig fand und sich rächte, dürfte klar sein.

Aber kein Vampir überstand das Verbrennen. Sicherheitshalber kann man ihn vorher köpfen und dann verbrennen, aber was Asche ist, kehrt nie wieder zurück. Wenn wir schon bei Methoden sind – mich überraschte, auf wie viele Arten man nach dem eigenen Tod zum Vampir werden kann. Gibt es da bei Dir einen Favoriten? Was fandest Du am wunderlichsten?

Am gemeinsten und auch mit am ekligsten fand ich die Variante in Deinem Buch, wo sich jemand mit Vampirblut einreibt, um kein Vampir zu werden, und dann genau deswegen Vampir wird. Richtig dumm gelaufen, würde ich mal sagen. Und v.a. woher kam das Vampirblut? Das schreit doch nach Quacksalberei!. Hat sich der Vampir selbst als Bader ausgegeben, um die Leute in die Falle zu locken? In manchen Fällen bekommt man ja auch den Eindruck, dass die paar übrig gebliebenen Menschlein eh keine Chance mehr hatten, oder? Sprich, wenn Du in so ein Dorf kommst, hast Du eh Pech gehabt, oder #HURZ, wie ich zu sagen pflege. 😉

Ist in den historischen Dokumenten eigentlich auch aufgezeichnet, ob die Vampire gesprochen haben? Daran muss ich immer denken, wenn ich einen Film mit Bela Lugosi sehe. Der starrt die meiste Zeit nur so pseudobedeutungsschwanger in die Gegend. Mir unerklärlich, wie diese Filme jemanden gruseln konnten. Die sind derart grotesk komisch… Für mich ist Kinski immer noch der glaubwürdigste und Max Schreck natürlich. So stelle ich mir nen echten Vampir vor. Und Du? Die modernen Vampire sind alle zu geleckt und die Fratzen zu sehr Photoshop.

Gibt es denn auch moderene Vampirberichte – also jenseits von Fantasy und Fiction? Und wann haben die Vampire aufgehört, Frack und Umhang zu tragen? Die in den heimgesuchten Dörfern waren ja auch keine Adeligen. Gingen die dann im Leichenhemd um?

Markus Heitz

Oh, in den historischen Aufzeichnungen ist durchaus die Rede davon, dass sie zu Hause auftauchen, sich mit ihren nahen Verwandten normal unterhalten, aber ständig Dinge verlangen, die für sie erledigt werden müssen, wie die Hausschuhe bringen und derlei. Also bedrohliches Starren und Schweigen kam wohl eher seltener vor. Andere Quellen berichten davon, dass ein Vampir ins Dorf zurückkehrte, die Leute beschimpfte und ihnen Dreck und Steine gegen die Häuser und auf die Dächer warf. So ein bisschen Hooligan-Alarm und nicht den Hauch von Glamour, würde ich mal sagen.

Was moderne Berichte angeht, da sind es meistens Berichte über präventive Handlungen an Leichen, um zu verhindern, dass die Toten als Vampire zurückkehren. Ich erinnere mich an den Fall eines Vaters, der vor einigen Jahren seinen Sohn illegalerweise ausbuddelte, um ihm den Kopf abzuschlagen, damit der Junge nicht zum Vampir wird. Aber von einer Heimsuchung habe ich nichts gehört – was nichts zu bedeuten hat. Der Glaube an Vampire ist auf dem Land ausgeprägter als in den Städten, daran hat sich wenig geändert. Und ob aus einem ländlich geprägten Areal in einem weit entfernt liegenden osteuropäischen Dorf die Nachricht über einen Vampir bis zu uns kommt, daran zweifle ich. Ausschließen kann ich es daher nicht.

Und was die Klamottenfrage angeht: Korrekt, die liefen in dem durch die Gegend, was sie zur Bestattung trugen – es sei denn, sie kehrten zwischendurch zu ihren Lieben zurück und legten neue Kleidung an. Manchmal schmuggeln die Geschichtenerzähler halt Adlige nachträglich in die Vampirschiene , wie z.B. den armen Dracula oder Báthory, meistens um sie noch schlechter dastehen zu lassen.

Hat sich die Dir die Frage gestellt, ob Du Dir vorstellen könntest, als Vampirin zu leben? Unter welchen Umständen? Oder wären Dir die Nachteile zu groß? Apropos Photoshop-Vamps: Bald kommt der neue Underworld-Film ins Kino… Freude, Freude oder was löst die Nachricht bei Dir aus? Und wusstest Du, dass die Macher von Underworld mal Stress mit den Entwicklern eines P&P-Rollenspiels hatten?

Aaah, die berühmte „Würdest Du Dich beißen lassen“-Frage! Hab ich erwähnt, dass ich halb Donauschwäbin bin, also Verwandtschaft auf dem Balkan habe? Und dass ich zu ausgeprägter Blässe neige und eigentlich erst nachts richtig aktiv werde? Alles kein Scherz. 😀 Kommt natürlich auf die Variante an… Wie ist es mit Dir? Würdest Du? Wenn ja, was fasziniert Dich? Und wenn nein, warum nicht?

Was ich aber noch spannend finde: Unser Standardbild vom Vampir ist ja eigentlich der männliche Graf Dracula. An weibliche Vampire denkt man hierzulande erst mal nicht, oder? Dabei hatte ja auch Dracula seine Gespielinnen. Coppola hat sie in seiner Verflimung wenigstens drin, und mit Lucy und dem Baby eine Anspielung an die Vampirinnen aus der Antike (ist das auch im Buch? Ich weiß gar nicht mehr…?). Sind wir heute so Dracula-zentriert, oder sind männliche Vampire einfach interessanter? Oder kennen sich die meisten Sterblichen einfach zu schlecht mit Vampiren aus?

Ja, Underworld… ist mir zu action-zentriert. Die letzten Vampirfilme, die mich richtig fasziniert haben, waren „Dracula Untold“ und „So finster die Nacht“ („Let the right one in“ aber das schwedische Original, nicht das überflüssige amerikanische Remake) – Welchen Vampirfilm magst Du am liebsten? Oder welche Erzählung/welches Buch? Und was hältst Du von den modernen Vertretern in Twilight, Trueblood oder eben Underworld?

Markus Heitz

Ich bin da recht frei, was die Gestaltung und Ausarbeitung des Vampir-Motivs angeht. Ich mag einige aus der Underworld-Reihe, aber auch „Only lovers left alive“, der sehr ruhig anti-actionhaft daherkommt, aber auch „Shadow of the Vampire“, der die Geschichte eines Vampirfilmdrehs (Nosferatu) erzählt. Die Idee von „Thirty Days of night“ ist grandios – die Umsetzung hingegen eher mau. Schade. „Priest“ verfolgt einen SF-dystopischen Ansatz, und wir haben noch den Vampirflm mit Bai Ling, dessen Namen ich gerade vergessen habe (Anm. von Annette: „The Breed“ bzw. „Dark Species – Die Anderen“). Viel Potential, das versandet.

Die Vampire und ihre Darstellungsweise gehen eben ein bisschen mit der Zeit. Dort sind es die triebgesteuerten Trueblood-Typen, in Twilight erlebt Dracula eine neuerliche Überromantisierung, was gar nicht geht. Generell wünsche ich mir ein bisschen mehr Mut von den Vampirfilmmachern, die eben Volksglaube-Vampirtypen aufgreifen, inklusive Nachzehrer. Das fände ich mal gut. Aber jetzt lasse ich mich erstmal vom kommenden Underworld-Film überraschen und hoffe, dass es was gibt, was mich begeistert.

Mir hat es viel Spaß gemacht, mit Dir ein wenig über Vampire zu plaudern! Vielleicht haben wir die Neugier bei manchen Leser wecken können, auf die Suche nach außergewöhnlichen, anderen Vampirbüchern und -geschichten zu gehen. Und weil Du mich fragtest, was ich empfehle: Es gibt eine Anthologie, die sich VAMPIRE nennt und Klassiker beinhaltet. Anders, traditionell und schaurig. Es zeigt, wie sehr sich auch Kreative von den Vampiren inspirieren und beeindrucken ließen. „VAMPIRE. Die besten Vampirgeschichten der Weltliteratur. Anthologie, zusammengestellt im Heyne-Verlag, München 1967.

Ich danke DIR für das Gespräch, lieber Markus! Und meine Neugier auf die Filme und Bücher, die ich noch nicht kenne, hast Du auf jeden Fall geweckt! Meine Artikelreihe ist ja noch nicht zu Ende, da kann ich weiteres Material noch gut gebrauchen! 😉

Über meinen Gesprächspartner:

Markus Heitz

Markus Heitz schrieb über 40 Romane, darunter etliche Bestseller, und wurde viele Male ausgezeichnet. Mit der Bestsellerserie um »Die Zwerge« gelang dem Saarländer der nationale und internationale Durchbruch. Dazu kamen erfolgreiche Thriller um Wandelwesen, Vampire, Seelenwanderer und andere düstere Gestalten der Urban Fantasy und Phantastik. Die Ideen gehen ihm noch lange nicht aus.

Foto © Martin Höhne


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4 Antworten auf „Von denen Vampiren (3) – Ein Gespräch mit Markus Heitz“

Hallo Frau Schwindt,

ich möchte hier noch zwei Lesebücher empfehlen, die sich vorzüglich zum Einstieg in die Vampir-Thematik eignen:

Children of the Night: Classic Vampire Stories. Selected and introduced by David Stuart Davies. Hertfordshire: Wordsworth Editions 2007. (= Reihe ‚Tales of Mystery & the Supernatural‘).

Augustus Hare: The Vampire of Croglin Hall (der bekannteste Vorfall mit einem Vampir in England)
John Polidori: The Vampyre; a Tale (erste Erzählung zum Thema in England, die viele Standard-Merkmale späterer Romane vordefiniert; hier wird der Vampir zum Adeligen)
James Malcolm Rymer: Varney the Vampyre (natürlich nur ein Auszug; das Werk ist ein riesiger Groschenroman mit 220 Kapiteln)
Alexis Tolstoi (verwandt mit Leo Tolstoi): The Curse of the Vourdalak
Sheridan Le Fanu: Carmilla (der weibliche Vampir betritt die Bühne; mit Einfluss auf Stokers Dracula)
Bram Stoker: Dracula and the Three Brides (Auszug aus ‚Dracula‘)
F. Marion Crawford: For the Blood is the Life
Mary Elizabeth Braddon: Good Lady Ducayne
M. R. James: An Episode of Cathedral History
Guy de Maupassant: The Horla (der Vampir als psychische Macht)
Edith Wharton: Bewitched
David Stuart Davies: The Welcome Visitor

Tilman Spreckelsen (Hrsg.): Vampire. Das große Lesebuch. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2012.

Paul Geiger: Nachzehrer (Definition des Vampirs als Spezialfall des Nachzehrers; aus dem ‚Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens‘, 1935)
Johann Christoph Harenberg: Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs (1733; enthalten ist auch der im Blogbeitrag erwähnte Bericht über die Vampirismus-Vorfälle im serbischen Medvegia)
Karl von Knoblauch: Hofnungen oder Träume (1789)
Leonhard Ludwig Finke: Von Servien (1792)
Ludwig Bechstein: Wärwölfe, Vampire und Unterirdische (1853)
Alfred Brehm: Blattnasen (hier geht es um Vampirfledermäuse; aus ‚Eine allgemeine Kunde des Thierreichs‘, 1864)
Literarische Texte (auch Gedichte):

Karl Friedrich Benkowitz: Der Vampir
John William Polidori: Der Vampyr
Goethe: Die Braut von Korinth (Goethes bekannte Vampirballade)
Karoline von Günderrode: Die Bande der Liebe
E. T. A. Hoffmann: Cyprians Erzählung
Prosper Mérimée: Die Vampyrenbraut
Pierre Alexis Ponson du Terrail: Nächtlicher Besuch
Théophile Gautier: Die liebende Tote
Joseph Sheridan Le Fanu: Die Vision
Bram Stoker: Draculas Gast
Richard Dehmel: Bastard
Arthur Conan Doyle: Der Vampir von Sussex (ein Fall für Sherlock Holmes und Dr. Watson)
Edward Frederic Benson: Die Turmstube
J. V. Clinton: Manche Geister lieben warmes Fleisch
Jan Neruda: Der Vampir
Josef Nesvada: Vampir Ltd. (ein vampirischer Rennwagen, der dem Fahrer mit dem Gaspedal das Blut aussaugt)
Herbert W. Franke: Kalziumfresser (ein Vampir-Alien zieht einer Raumschiffbesatzung das Kalzium aus den Knochen)

Vielleicht gibt es ja noch umfangreichere Anthologien?

Viele Grüße
Thorsten Everschor

Endlich hab ich den Artikel auch mal gelesen! Sehr schön fand ich neulich auch den Film: A girl walks home alone at night. Stilistisch hätte der fast auf einem Marjane-Satrapi-Comic basieren können, auch vom iranischen Hintergrund her, jedenfalls hat der nochmal ein ganz neues, spannendes Vampirgenre 🙂

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