Zum Thema Kunst – Ein Bloggespräch mit Maren Martschenko

Nachdem ich Maren kürzlich zu ihrer Kuhmalerei interviewt hatte, verabredeten wir uns zum Telefonieren und stellten dabei fest, dass wir uns noch viel mehr über Kunst austauschen könnten. Also genau das Richtige für ein Bloggespräch, dachte ich mir, und hier kommt es:

Annette Schwindt

Da folgen wir uns nun schon so lange online und kommen erst jetzt richtig ins Gespräch, liebe Maren! Du hattest mich ja bei unserem Telefongespräch daran erinnert, dass ich Dich vor längerer Zeit schon einmal um ein Künstlerinterview gebeten hatte, das aber nicht zustande gekommen war, weil meine erste Frage „Was ist Deine Definition von Kunst“ gewesen war. Magst Du die Geschichte zum Einstieg ins Thema nochmal erzählen?

Was ist Kunst?

Maren Martschenko

Ich kannte deine Serie „Artists I like“ schon und fühlte mich sehr geehrt, gefragt zu werden. Zumal ich mich mit meiner Kuhmalerei nie als Künstlerin verstanden habe, weil ich nicht davon lebe. Es war ja mein Passion Project. Und dann las ich die erste Frage: „Was ist deine Definition von Kunst?“ Puh! Keine Ahnung. Spontan dachte ich an Karl Valentin, der mal sagte: Kunst käme von Können und nicht von Wollen. Sonst hieße es Wunst. Ist das schon Können, was ich da freitags mache? Ein anderer Gedanke war: Kunst liegt im Auge des Betrachters. Wer bin ich, dass ich den Begriff Kunst definiere?! Über Tage, Wochen, Monate kreiste ich immer wieder um deine Frage herum. Und weil ich die erste Frage nicht beantworten konnte, habe ich mich an die nächsten gar nicht herangewagt. Zum Glück hast du dann noch einmal einen Versuch mit einer anderen Einstiegsfrage gestartet 🙂 

Was ist deine Definition von Kunst?

Annette Schwindt

Für mich ist Kunst fühlen, nicht wissen. Etwas, das man gebärt (Künstler) oder das auf einen wirkt (Rezipient). So oder so macht das Kunstwerk etwas mit einem, egal ob man es zulassen kann und bewusst wahrnimmt, oder nicht.

Ich finde es immer schlimm, wenn Kunst als etwas Elitäres dargestellt wird. Ich denke, dass Kreativität ein Grundbedürfnis des Menschen ist. Es wird vielen nur im Laufe ihres Lebens aberzogen. Eigentlich sind wir alle Künstler und wir alle profitieren von Kunst. 

Dazu muss man keine Ahnung von Kunstgeschichte haben und sich wie ein Experte ausdrücken können. Mir ist es viel lieber, wenn jemand emotional mitteilen kann, was ein Kunstwerk mit ihm macht, als dass er*sie es fachgerecht durchanalysiert. 

Und machen tut es immer was mit einem, selbst wenn es einem nicht gefällt. Dann verunsichert es vielleicht, oder macht wütend. Oder man mag einfach die Farbe nicht. Das alles kann man ausdrücken – wenn man sich traut. Allzu oft erlebe ich aber, dass dieser intuitive Zugang verschüttet wurde. Das finde ich sehr schade. Wie siehst Du das?

Intuition und Experimentierfreude

Maren Martschenko

Das erlebe ich genau wie du: Der intuitive Zugang zur eigenen Kreativität, den man bei Kindern noch beobachten kann, geht zunehmend verloren. Spätestens in der Schule. Dort und in der Gesellschaft insgesamt werden wir doch sehr darauf getrimmt, Probleme mit dem Verstand alleine zu lösen. Je komplexer die Probleme allerdings sind, desto weniger hilft diese Vorgehensweise. Man sieht das gerade ganz gut bei Corona oder dem Klimawandel: Die Wissenschaft liefert Zahlen, Daten und Fakten. Daraus Lösungen abzuleiten funktioniert nicht wirklich. Vielleicht würde ein spielerischer Zugang zu Kunst oder Umgang mit Kunst hier helfen?

Ich merke an meinem freitäglichen Malen, dass ich dort gerne etwas ausprobiere, übermale, neu anfange, verwerfe und auch mal etwas unperfekt stehen lassen kann. Ich genieße den Prozess. Diese Haltung übertrage ich immer wieder auch auf meine Arbeit. Das macht mich im Kopf freier. Gleichwohl ich mich mit meiner Arbeit als Beraterin und Unternehmerin nicht als Künstlerin verstehe. Aber mein Zugang zu meiner Arbeit hat sich über die Jahre verändert. 

Zurück zu deiner Frage und um den Bogen zu schließen: Ich denke, es hat eben viel mit dem Zugang zu tun, den man hat, oder den andere einem eröffnen. Es kann der Zugang zur Sprache sein. Wie drücke ich aus, was ich sehe oder fühle? Es kann auch der Zugang zu seinen Gefühlen sein, der verschüttet ist. Wenn man nur sogenannten Expert*innen über Kunst sprechen hört oder schreiben sieht, in all ihrem verquasten Fachsprech, kann einen das schon einschüchtern. Ich finde es immer faszinierend und gleichzeitig abschreckend, wie die Beschriftungen in Museen formuliert sind. Das schafft Distanz, nicht Zugang.

Ein gutes Beispiel habe ich kürzlich in der Kunsthalle in München erlebt. Dort sind alle Ausstellungsräume und Bilder in einfacher Sprache beschrieben. Für tiefer Interessierte gibt es dann noch eine ausführlichere Version. Aber immer so geschrieben, dass man nicht studiert oder Kunstgeschichte studiert haben muss, um den Inhalt aufzunehmen. Man kann auch alles auf dem eigenen Smartphone anhören über eine App, wenn man nicht lesen kann oder will. 

Was meinst du, könnte den Zugang erleichtern? Brauchen wir mehr Kunst im Alltag? 

Künstlerischer Ausdruck als Bedürfnis

Annette Schwindt

Definitiv! Und das muss ja nicht gleich Malerei oder Skulptur sein. Das kann schon damit anfangen, wie man sein eigenes Lebensumfeld gestaltet bis hin zum öffentlichen Lebensraum. Wer Kunst als etwas erlebt, bei dem man gleichberechtigt ist, wird weniger Angst davor haben. Wer Kunst als Ausdrucksmittel erlebt, der wird sich auch freier fühlen. 

Ich hatte da vor einigen Jahren ein sehr einschneidendes Erlebnis: Ich fühlte mich nie wirklich gut, war dauernd krank und hatte viel Stress. Eine gute Freundin sprach mich darauf an, wie negativ ich mich verändert hätte, und fragte, wann ich eigentlich zum letzten Mal etwas Künstlerisches gemacht hätte. (Dazu muss man wissen, dass ich von klein auf eigentlich immer künstlerisch aktiv war und auch in meiner Zeit als Zeitungsmitarbeiterin viel mit Kunst zu tun hatte.) Ich musste richtig nachdenken, um auf diese Frage antworten zu können, und stellte fest, dass mein Unwohlsein genau zu der Zeit angefangen hatte, als ich mit der Kunst aufgehört hatte. 

Also fing ich wieder an, mich zunächst konsumierend damit zu beschäftigen. Dann sah ich Werke von Magne Furuholmen und es machte BÄMM! Ich kaufte Farben und Leinwände und fing an, mit Acrylmalen zu experimentieren. Und siehe da: Ich begann, mich besser zu fühlen, kam mit anderen Künstlern (damals über myspace) in Kontakt, es gab sogar Leute, die meine Bilder kaufen wollten. Für wieder andere machte ich Auftragsarbeiten. Es war herrlich! Plötzlich bekam auch alles andere in meinem Leben neuen Schwung.

Dieser Zugang ist vielen aber leider völlig fremd. Wie Du schon sagst, wird man in der Schule auf Funktionieren und Konformität getrimmt, was das kreative Herangehen – nicht nur zur Kunst – erstickt. Selbst denken und eigene Lösungen erarbeiten wird als unerwünscht aberzogen. Man soll sich einfügen, nicht individuell sein. Man soll effizient Leistung bringen in „systemrelevanten“ Bereichen. Alles andere soll warten. 

Doch beginnt nicht genau da gerade ein Umdenken, weil wir eben sehen, dass das so nicht funktioniert? Was glaubst Du, welche Rolle die Kunst in der gerade stattfindenden Transformation spielen sollte?

Erfahrung der Selbstwirksamkeit

Maren Martschenko

Spontan hatte ich die Assoziation “make art, not war”. Kunst machen sollte unbedingt Teil des Transformationsprozesses sein. Von Künstler*innen kann man sehr viel lernen: Aus dem, was da ist, etwas Neues zu schaffen. Zu experimentieren. Mit begrenzten Mittel eine Vielfalt an Möglichkeiten schaffen. Mit Ergebnissen Wirkung erzielen. Vielleicht auch überraschende. Kunst ermöglicht auch Gespräche. 

In meinem Ansatz der gestaltenden Beratung gibt es in den Workshops immer auch Phasen, in denen mit den Händen etwas erschaffen werden muss. Aus einem LEGO Serious Play Workshop habe ich den Begriff “Thinging” mitgenommen. Es ist immer wieder spannend, welche Areale im Gehirn der Teilnehmenden freigelegt werden, wenn sie mit den Händen “denken”. Es entstehen völlig neue Erkenntnisse und dadurch Ergebnisse. Über das gebaute Werk kommen die Teammitglieder viel besser ins Gespräch, weil sie leichter Worte finden. Das funktioniert nicht nur bei kreativen Menschen, sondern auch bei Ingenieur*innen und anderen vermeintlich technisch orientierten Menschen. Gerade die lieben es ja, Dinge zu entwickeln. Bei etwas abstraktem wie Kundenzentrierung oder Markenpositionierung tun sie sich erst einmal schwer, weil es sehr abstrakt ist. 

Was ich aber auch beobachte: Es gibt sehr oft eine anfängliche Skepsis. Es braucht einen fachlichen Kontext. Wenn ich einfach nur meine Acrylfarben mitbrächte und sagen würde: Heute malen wir alle eine Kuh, würde das nicht funktionieren. 

Ich denke, das künstlerische bzw. kreative Erschaffen von etwas vermittelt immer auch ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, was ja ein Urbedürfnis von Menschen ist. Möglicherweise schreibt man dann aber besser nicht “Kunst” drauf, weil es die Leute abschreckt. 

Nun habe ich beruflich mit Unternehmen zu tun und da noch einmal konkret im Kontext Marke. Da ist eh schon viel Gestaltungsspielraum. Du hast ja das effizient Leistung bringen in „systemrelevanten“ Bereichen angesprochen. Das ist noch einmal etwas anderes. 

Ich merke, dass es mir schwer fällt vorzustellen, wie das in einem Krankenhaus oder Pflegeheim oder einer Feuerwehr aussehen könnte. Da geht es ja ums Überleben. Das braucht sehr eingespielte Prozesse. Ein Rad muss ins andere greifen. Die Menschen, die dort arbeiten, haben so gut wie keinen Gestaltungsspielraum. Oft dürfen sie noch nicht einmal ihren eigen Pausenbereich gestalten. Alles ist vorgegeben. Entweder von Din-Normen oder Budgets. 

Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass es dringend eine Gesundheitsreform bräuchte. Hier ist definitiv Transformationsbedarf. Vielleicht können wir das mal gemeinsam durchdenken? Welche Elemente des künstlerischen Schaffensprozess lassen sich auf andere Transformationsprozesse übertragen? Welche Phasen durchläuft man? 

Wie gehst du z.B. konkret vor, wenn du ein Bild machst? Startest du ergebnisoffen? Was ist zuerst da? Das Material oder die Idee? 

Sich auf Neues einlassen

Annette Schwindt

Mir geht es bei der Kunst, wenn ich sie selbst schaffe, eben um dieses Erschaffen an sich. Das fertige Kunstwerk wiederum kann ich dann sehr gut loslassen. Der Gestaltungsprozess ist das, was mich reizt. Meist gehe ich zunächst mit einem undefinierten Bedürfnis schwanger, das sich dann irgendwann in einer Idee materialisiert, die wie bei einer Geburt eruptionsartig aus mir raus muss. Das ist eine innere Notwendigkeit und wenn ich ihr nicht folge, geht es mir schlecht. Das Ergebnis kann dann alles Mögliche sein: ein Bild, eine Skulptur, eine Fotosession oder ein Text. Nur der kreative Anfall muss raus!

Manchmal inspiriert mich auch ein künstlerischer Beitrag von jemand anderem so stark, dass ich selbst aktiv werden muss. Oder ein Material, eine Farbe, ein Wort, etwas, das mir begegnet, wirkt wie eine Initialzündung. Derzeit gehe ich auch tatsächlich mit dem Thema Transformation schwanger, da ich mich im Lektorat der Texte von Davide Brocchi ständig damit beschäftige und es in mir brodelt in dieser Richtung aktiv zu werden. 

Aber Du hast natürlich Recht: Wer in seinem Alltag mit dem Retten von Leben oder dem Gewährleisten von (finanziellem) Überleben bis an die Grenzen gefordert ist, hat keine Kapazität mehr, künstlerisch zu experimentieren. Der hält das vermutlich ohnehin für Luxus. Dabei ist es doch oft irgendeine Form von Kunst, die einem wieder zu neuer Kraft verhilft. 

Was man vom künstlerischen Schaffen lernen kann, ist, sich ins Unbekannte fallen zu lassen und zu erleben, was daraus entstehen kann. Das Neue mit allen Sinnen zu erkunden und dann etwas damit zu gestalten. Aber kann man das anderen beibringen? Vor allem, wenn sie noch dem Leistungsdenken verhaftet sind und so einem Schaffungsprozess an sich gar keinen Wert beimessen?

Loslassen lernen

Maren Martschenko

Ich denke schon, dass man es anderen beibringen kann. Es ist nicht so, dass man dieses Einlassen wie Vokabeln auswendig lernen kann, sondern nur durch Tun erleben und dann irgendwann vielleicht verinnerlichen kann. 

Ich weiß noch, wie ich angefangen habe zu malen. Ich hatte Bilder im Kopf, die ich unbedingt malen wollte: Ein Wiesenlandschaft mit Heuballen. Ein Lavendelfeld mit französischem Dorf. Es war jedes Mal ein irre anstrengender Prozess. Ich war permanent im Abgleich von meinem inneren Bild und dem, was ich auf der Leinwand gesehen habe. Ich war sehr im Leistungsdenken verhaftet und habe dem Prozess erst einmal wenig Wert beigemessen, nur dem Ergebnis. 

Ich habe dann auf Empfehlung einen Malkurs besucht beim österreichischen Maler Bogdan Pascu. Als Aufwärmübung sollten wir Rechtshänder:innen mit links zeichnen (und umgekehrt) oder auch mit geschlossenen Augen. Es war ein bisschen wie ins Wasser geworfen werden, um schwimmen zu lernen. Du musst dich beim blind Zeichnen einfach vom Ergebnis verabschieden. Ein anderes Mal forderte er uns auf, eine Linie quer übers Bild zu malen und bewusst zu “zerstören”, was da war, um es dann neu aufzubauen. Oder einfach mal Farbe übers Bild laufen zu lassen. Um dann mit neuem Blick darauf zu schauen und sein Bild aufs Neue zu malen. Mittlerweile liebe ich es, in der Malerei mein eigenes Bild zu “zerstören” und einfach zu gucken, was passiert. Es entstehen so spannende Effekte im Bild, die ich rein zeichnerisch gar nicht kreieren könnte. 

Wenn es ganz gut läuft, malen meine Hände von selbst, der Kopf bleibt außen vor. Das Bild entsteht einfach. Am Ende bin ich selbst ganz überrascht. Mit “Gloria” ging es mir zum Beispiel so. 

Ich denke, dass es, um das zu lernen, bei den Lernenden eine Bereitschaft braucht sich einzulassen, sich nicht zu bewerten. Und dann braucht es Lehrende wie meinen Mallehrer Bogdan Pascu, die einen mit solchen Übung zum Erleben zwingen. Es braucht einen Raum, in dem man sich frei entfalten darf, in dem es kein richtig oder falsch gibt. Und schließlich braucht es Zeit für die Geburt, wie du es so schön gesagt hast. Wie lange es dauert, bis aus einem selbst heraus der Moment entsteht, in dem man sagt: “Und jetzt probiere ich das!” lässt sich im Vorhinein gar nicht planen.

Eine Freundin erzählte, dass ich schon im Jahr 2006 davon sprach, dass man Kühe porträtieren müsste, weil sie so einzigartig seien. Anscheinend reifte die Idee schon lange in mir, bevor ich das erste Kuhbild im Jahr 2011 malte. Ich weiß es noch genau, dass ich Monate vorher, vielleicht sogar ein ganzes Jahr, spürte, dass irgendetwas in mir reifte. Ich spürte, die Zeit der Landschaften war vorbei. Und doch zeigte sich nichts Neues. Bis ich eines Tages vor einem Kuhbild stand und wusste: Das ist es! Dann begann ein nicht enden wollender serieller Schaffensstrom 🙂

Nur: Wo bekommt man – außer in der Kunst – alle Zeit der Welt, bis etwas entstehen darf? 

Inspiration erkennen

Annette Schwindt

Ich schätze, die Zeit muss man sich einfach nehmen, nicht wegen der Kunst, sondern für sich selbst. Letztlich läuft es doch auf die Frage hinaus, welche Prioritäten ich im Leben setze. Niemand kann nur funktionieren, oder für andere da sein, wenn er*sie nicht auch Zeit für sich selbst hat. Oder man macht ein gemeinsames Erleben daraus. Wichtig ist, dass man mal innehält und neue Perspektiven findet. Das muss ja nicht gleich ein Museumsbesuch oder eigene Malerei sein. Oft tut es auch eine gute Dokumentation oder einen Film zu schauen, ein Buch zu lesen, Musik zu hören.

Bei mir waren es wie gesagt einmal die Bildbände von Magne Furuholmen, ein andermal war es die Comedy-Dekonstruktion „Nanette“ von Hannah Gadsby und zuletzt das Video „The creativity sweet spot“ von Marcus John Henry Brown. Mal inspiriert mich etwas zum Malen, dann zum Schreiben, zum Singen, dann zum Webdesign. Die Welt um uns herum ist doch voll von Inspiration, wenn man nur richtig hinsieht!

Selbst wenn gerade alles furchtbar zu sein scheint, gibt es immer noch Momente oder Aspekte dabei, die einen weiterbringen. The collateral beauty. Kennst Du den gleichnamigen Film? Das erlebe ich immer wieder, gerade wenn es drum herum besonders schlimm ist. Man muss nur hinsehen und bereit sein, sich darauf einzulassen. Verstehst Du, was ich meine?

Das Schöne erkennen

Maren Martschenko

Oh ja, ich kenne collateral beauty. Sehr bewegender Film. Überraschendes Ende! 

Manchmal gelingt es mir nicht, aus dem Leben selbst heraus, das Schöne oder Positive zu erkennen. Das sind gute Momente zum Malen. Dabei lerne ich viel über mich und das Leben: Mich einzulassen auf einen Prozess und darauf zu vertrauen, dass das Ergebnis am Ende gut ist. Wenn mir das Leben einen Strich durch die Rechnung macht, zu schauen: Wie kann ich diesen Strich integrieren? Wie für mich nutzen? Dass es manchmal viele Anläufe und Schichten braucht bis eine Idee funktioniert. Dass sich auch mit ganz wenigen Mitteln und Werkzeugen tolle Ergebnisse erzielen lassen. Dass manchmal sogar in genau dieser Reduktion die große Chance liegt. 

So habe ich einen Pinsel, mit dem ich male. Maximal drei Farben (rot, blau, gelb) plus weiß, aus denen ich alles mische. Ich habe ein Motiv: Kühe. Ich höre beim Malen einen einzigen Song. Am liebsten habe ich sogar das gleiche Keilrahmenformat. Ich werde manchmal gefragt, ob ich das nicht langweilig finde. Im Gegenteil: Es fasziniert mich, wie viele unterschiedliche Ergebnisse entstehen können. 

Hast du schon mit irgendeiner Form der Limitierung im kreativen Schaffen gearbeitet?

Annette Schwindt

Ich habe mich öfter auf eine Farbe beschränkt und dann nur mit Schattierungen und/oder bestimmten Materialien gearbeitet. Hin und wieder gab es auch Auftragsarbeiten, die eine ganz bestimmte Palette erforderten. Aber bewusst eingeschränkt als Form… nein, ich glaube nicht. Ich gehe allerdings wie gesagt meist komplett intuitiv ans Kunstschaffen heran. 

Doch! Einmal bestellte eine Freundin ein „Fühlbild“ bei mir, das sie ihrem blinden Mann schenken wollte. Es sollte zwar auch für sie farblich zur Einrichtung passen, aber das Taktile war wichtiger. Das Ergebnis war ein Sonnenuntergang, bei dem von hart und glatt (hell) bis weich und unregelmäßig (dunkel) verschiedene Materialien verarbeitet wurden. 

Mein Mann Thomas liebt es – wenn auch eher scherzhaft  – Kunst aus Alltagsgegenständen, oder gar aus Resten vor dem Wegwerfen zu machen. Da entstehen ganze Installationen, die er dann fotografiert und ironisch kommentiert bevor sie dann wirklich im Müll landen. Manche sind auch nur eine Frage der Perspektive.

Oft wird Kunst ja auch zu therapeutischen Zwecken genutzt. Traumatisierten Menschen fällt es möglicherweise leichter, ihre Innenwelt durch Farben und Formen als in Worten auszudrücken. Spannend finde ich auch Kunst im spirituellen Zusammenhang, von der Höhlenmalerei bis hin zur sakralen Kunst. Immer versetzt einen das Ergebnis in eine andere Schwingung. Genau wie Musik. 

Nutzt Du nicht auch Musik beim Entstehungsprozess Deiner Bilder? 

Ausdruck für Emotionen finden

Maren Martschenko

Richtig. Ich höre zu jedem Bild einen Song. Aus dem heraus höre ich die Farben. Das macht den Prozess intuitiver. In meinem Beruf arbeite ich viel mit dem Kopf. Ich denke, das ist meine Art, das analytische Denken einfach mal auszuschalten und ganz bei mir anzukommen. Vielleicht ist es in gewisser Weise auch Therapie. Ich selbst bezeichne mich als Emotionslegastheniker. Das bedeutet, dass ich das, was ich fühle, nicht gut in Worte fassen kann. Beim Malen kann ich das alles auf die Leinwand bringen. Wenn ich mal nicht gut drauf bin, sieht man das auch in meinen Bildern. Sie sind nicht alle fröhlich und bunt. Es gibt ein Bild, das heißt “Dazed and confused”. Das ist an einem grauen Regentag entstanden.  Ich habe im Garten gemalt. Du kannst sogar die Regentropfen sehen, die auf das Bild geplattert sind. Ich mag das Bild sehr, auch wenn es die Leute nicht aufhängen würden. Aber das ist eben der Unterschied zwischen Kunst und “Auftragskreativität”. Sie muss nicht gefallen. Sie darf einfach aus mir heraus entstehen und dann sein. Ha! Siehste: Nun habe ich doch endlich meine Definition von Kunst. 🙂

Annette Schwindt

Yay! Und damit schließt sich auch der Kreis in unserem Gespräch. Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit dafür genommen hast! Ich hoffe, es hat Dir genauso viel Spaß gemacht wie mir und dass unser Austausch auch anderen Inspiration bringt.

Über meine Gesprächspartnerin

Maren Martschenko

Maren Martschenko arbeitet als freiberufliche Markenberaterin in München. Immer freitags malt sie großformatige Acrylbilder. Erst Landschaften. Seit 2011 ausschließlich Kühe. Daher der Name „Freitagskühe“. Aus Neugier fing sie an zu malen, mittlerweile möchte sie die Kühe und das Malen nicht mehr missen. Es ist ihr Passion Project.

freitagskuh.de

Foto von Maren: Raimund Verspohl
Avatar von Annette: tutticonfetti

In meiner Rubrik „Bloggespräche“ unterhalte ich mich mit einem Gegenüber über ein frei gewähltes Thema wie in einem Mini-Briefwechsel. Wer auch mal so ein Gespräch mit mir führen möchte, findet alle nötigen Infos dazu unter https://www.annetteschwindt.de/bloggespraeche/ und kann sich von dort direkt bei mir melden.


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