Teilen wirkt (Gastbeitrag zur 59. Blognacht)

Es war einmal ein Katzenbild, das war im Großen und Ganzen recht glücklich. Obwohl, es war schon ein altes Katzenbild, so alt, dass es noch auf Papier gedruckt war.

Das Katzenbild hatte schon etwas über jüngere Katzenbilder gehört, die aus lauter Nullen und Einsen bestehen und die zwar jeder sehen, aber niemand berühren kann. Das war dem alten Katzenbild irgendwie unheimlich. Wie sollte so etwas denn möglich sein? Das klang doch fast schon wie Zauberei.

Irgendwann beschloss das alte Katzenbild, dem Rätsel auf den Grund zu gehen. Nachdem es sich aus seinem Kleiderschrank eine schöne Klarsichthülle ausgesucht und übergestreift hatte, ging es hinaus und begann zu suchen.

Am Kiosk um die Ecke, wo die bunten Zeitschriften wohnten, begann die Suche. Auf keiner der Seiten, auf denen das Katzenbild nachsah, fand sich ein Hinweis auf eines der jungen Katzenbilder. Keines der Bilder in den Zeitschriften weigerte sich, angefasst zu werden.

Das Katzenbild war ratlos. Wie sollte es nur in dieser großen weiten Welt jemals finden, was es suchte?

Wenn ich mehrere wäre, könnte ich vielleicht eine Chance haben, überlegte das Katzenbild. Kurzerhand zerteilte es sich in viele kleine Stücke und sprang in die nächste Windböe. Hei, wie das Katzenbild da durch die Luft wirbelte! Über die gesamte Stadt verteilte es sich.

Jetzt müsste es doch möglich sein, eines der jüngeren Katzenbilder zu finden! Es war immer noch verdammt schwer für das zerteilte Katzenbild, bei seiner Suche auf einen grünen Zweig zu kommen.

Ein Teil von ihm war im Tierheim, denn dort gab es viele Katzen, folglich musste es doch dort auch Bilder von Katzen geben.

Ein Teil von ihm war in einer Katzenfutterfabrik, doch dort stank es nur ziemlich erbärmlich und es gab noch nicht einmal Katzen.

Auch auf einer Polizeiwache hatte das Katzenbild mit einem seiner Teile wenig Glück. Dort sagte man zwar, es könne ein Phantombild angefertigt werden, aber eine Vermisstenanzeige könne man nicht aufnehmen. Die Polizei suche nur nach Personen, die man anfassen kann.

Das Katzenbild hatte ehrlich gesagt so langsam die Faxen dicke.

Eines der letzten Stücke des Katzenbilds, die ihre Suche noch nicht aufgegeben hatten flatterte schließlich auf einen Schulhof. Es war gerade große Pause und die Schülerinnen und Schüler hatten ihre zwanzig Minuten Online-Zeit.

Da hörte das Katzenbildstück, wie eines der Kinder rief: “Oh, was für ein süßes kleines Kätzchen!“ Das Katzenbildstück dachte schon, es wäre selbst gemeint, doch das Kind schaute entzückt auf das Display seines Smartphones.

Neugierig näherte sich das Katzenbildstück und fragte das Kind, ob es ihm die Katze zum Streicheln geben könne. Das Kind sah das Katzenbildstück entgeistert an und meinte nur: „Willst Du mich auf den Arm nehmen?“

Das Katzenbildstück hat wohl ziemlich ratlos dreingeblickt. Jedenfalls sagte das Kind in belehrendem Ton, dass dies doch nur das Bild eines Kätzchens wäre, das noch nicht einmal ausgedruckt sei. Nur Nullen und Einsen, Du verstehst? Das kann man nicht streicheln, noch nicht einmal anfassen!

Das Katzenbildstück war ganz aufgeregt, es war hier wohl auf einer ganz heißen Spur! „Meinst Du denn, ich kann auch so ein Gerät, wie Du haben?“, fragte es. Das Kind sah es nur ungläubig an: „Du lebst wohl auch hinterm Mond, was? Jeder hat doch ein Smartphone.“

Das Katzenbild hatte sich mit diesem Thema tatsächlich noch nie beschäftigt, aber neugierig, wie es war, nahm es sich fest vor, sich damit näher jetztzu befassen.

Nachdem alle Katzenbildstücke gut wieder zu Hause angekommen waren, setzte sich das Katzenbild wieder zu einem Ganzen zusammen. Es war zufrieden, seine Frage am Ende doch noch beantwortet bekommen zu haben.

Wie hilfreich, wenn man sich teilen kann.
Es wirkt.

Dies ist ein Beitrag zur 59. Blognacht von Anna Koschinski.
Titelbild: Open AI

Von Thomas Reis

Jurist in der öffentlichen Sozialverwaltung, unverbesserlicher Sozialdemokrat und Mediator. Leidenschaftlicher Hobbykoch und -bäcker. Einer guten Diskussion niemals abgeneigt. Seit 1990 Tetraplegiker nach Autounfall. Redet nicht lang über Inklusion, sondern macht einfach. Ehemann von Annette, mit der er in Bonn lebt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert