Jan Tissler: Die Digitalisierung ist verführerisch

Nachdem es hier einige Zeit still war, habe ich einen erneuten Aufruf zum Ausfüllen unseres Fragebogens gestartet. Der Erste, der sich daraufhin gemeldet hat, ist Jan Tißler, der uns seine Antworten über den großen Teich geschickt hat:

Bitte stelle Dich kurz vor (Name, Ort, Website/Blog, wichtigste drei Social-Media-Profile) Jan Tißler, San Francisco, www.jati.de

Was motiviert Dich dazu, an der Interviewreihe teilzunehmen?

Annette! Außerdem bin ich sehr dankbar für die Möglichkeiten, die mir das digitale Leben gegeben hat.

Wie digital ist Dein Leben derzeit und wie hat es sich dahin entwickelt?

Ich bin seit über 20 Jahren Journalist und habe während meiner Volontärszeit 1997 das erste Mal das Internet ausprobiert. Ich habe dann sehr bald für mich beschlossen, dass das meine Zukunft ist. Seit 1999 arbeite ich praktisch durchgehend digital.

Dieses digitale Leben hat letztlich dazu geführt, dass ich als gebürtiger Hamburger inzwischen in San Francisco bin. Hier lebe ich nun und arbeite weiterhin für meine Auftraggeber in Deutschland und bringe außerdem gemeinsam mit Falk Hedemann und Sebastian Schürmanns das UPLOAD Magazin heraus.

Als Digitaljournalist kann ich im Prinzip von jedem Ort der Welt arbeiten, sofern ich dort Zugang zum Internet habe. Das habe ich vor ein paar Jahren für eine Weile konsequent ausgenutzt und war für mehr als ein Jahr ständig unterwegs – vor allem in Europa und den USA.

Insofern überrascht es wahrscheinlich nicht, wenn ich feststelle: Es gehört für mich dazu, vernetzt zu sein und Informationen abrufbar zu haben.

Was findest Du besonders interessant und spannend an der Digitalisierung?

Wie einfach es ist, mit Menschen zu kommunizieren, sich zu orientieren und Dinge nachzulesen. Wer will, kann sich Tag und Nacht weiterbilden. Ich finde das ganz großartig. Man kann sich aus etlichen Quellen informieren, Gleichgesinnte treffen oder sich im Gegenteil mit Dingen und Menschen auseinandersetzen, die ansonsten keine Rolle im eigenen Leben spielen würden.

Mein Berufsfeld des Journalisten wird durch die Digitalisierung natürlich sehr durcheinander gewirbelt. Ich persönliche sehe da vor allem die Chancen für mich selbst. Wie sonst hätte ich so etwas wie das UPLOAD Magazin starten können? Und viele Menschen bekommen nun die Chance, sich Gehör zu verschaffen und neue Gemeinschaften zu bilden, für die klassische Grenzen nicht mehr gelten.

Was findest Du bedenklich am Umgang mit der Digitalisierung?

Da gibt es sicherlich eine lange Liste. Mein Beruf beispielsweise wird nicht nur positiv beeinflusst, sondern hat ebenso mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Es ist schwer geworden, sich für journalistische Grundsätze wie beispielsweise die Sorgfaltspflicht einzusetzen, wenn sich alles nur noch um Zugriffszahlen und Schnelligkeit dreht. Ich versuche darum einen großen Bogen zu machen und schaue nach Modellen, die andere Wege gehen. Und die gibt es glücklicherweise.

Ein anderer Punkt: E-Mail, Messages und andere Benachrichtigungen können dazu führen, dass man nicht mehr bewusst lebt, sondern sich vor allem treiben lässt. Es ist sehr verführerisch, laufend das Smartphone vor der Nase zu haben.

Es ist wichtig, hier auch mal ganz wortwörtlich abzuschalten. Ich setze die „Bitte nicht stören“-Funktion ganz gezielt ein: Benachrichtigungen kommen dann noch immer an, lenken mich aber nicht mehr ab. Ich entscheide, wann ich das nächste Mal nachsehe.

Solche Dinge sind wichtig.

Was glaubst Du, wie sich die Digitalisierung weiter entwickeln wird?

Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, deren Ausmaß und Auswirkungen sich heute noch ganz schwer abschätzen lassen. Faszinierend finde ich den Bereich der „künstlichen Intelligenz“. So wie die industrielle Revolution uns „künstliche Muskeln“ gegeben hat, wird uns dieser Bereich „künstliche Intellekte“ bescheren. Es wird viel darüber gesprochen, ob wir jemals eine mit dem Menschen vergleichbare KI erschaffen werden. Aber das halte ich persönlich für eine Ablenkung. Wir haben bereits heute künstliche Intelligenzen, die auf ihrem jeweiligen Feld den Menschen um ein Vielfaches übertreffen. In Zukunft werden wir solche Spezialisierten KI so auf Abruf haben wie heute Elektrizität.

Davon abgesehen wird die Vernetzung weiter voranschreiten. Computer werden weiter in den Hintergrund rücken und ihre Bedienung wird immer natürlicher. Sprachassistenten sind hier ein Vorzeichen. Bedienung mit Gesten ist ein anderes Beispiel. Microsofts HoloLens und andere wollen außerdem unsere Realität um digitale Inhalte erweitern. Das ist heute alles noch klobig und unhandlich, aber zehn, zwanzig Jahre in der Zukunft könnte das unser Leben so nachhaltig verändern wie heute das Smartphone.

Die Digitalisierung wird sich dabei (weiterhin) auf unsere Arbeitswelt auswirken. Wir werden dadurch hoffentlich vor allem neue Freiheiten gewinnen und es werden Berufsfelder entstehen, von denen wir heute noch gar nichts ahnen. Sicherlich wird es zugleich viele Schwierigkeiten zu überwinden geben, wenn sich Berufe und Aufgaben verändern oder auch wegfallen.

Können diejenigen mit dem Thema Digitalisierung versöhnt werden, die sich von ihr bedroht fühlen?

Vielleicht, wenn sie sich damit auseinandersetzen, welche Chancen und Vorteile es ihnen bieten kann. Mir begegnet manchmal eine grundsätzlich ablehnende Haltung, ohne dass sich Menschen genauer damit beschäftigt hätten.

Wie kann man die Menschen dazu bringen, sich mit dem Thema Digitalisierung aktiv auseinander zu setzen?

Immer mal wieder am praktischen Beispiel zeigen, was das eigentlich bedeutet! Und vielleicht außerdem aufzeigen, wie es diesem Menschen konkret helfen könnte. Wir können lange über die allgemeinen Vor- und Nachteile der Digitalisierung diskutieren. Aber am Ende möchte doch jeder wissen: Was habe ich davon? Was kann ich damit machen? Und muss ich mich da vor irgendetwas schützen?

Gibt es noch etwas, das Du schon immer zum Thema Digitalisierung sagen wolltest?

Nein. 🙂

Vielen Dank für Deine Antworten, jati! 🙂
Foto: Patrick Lux für Upload Magazin


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