Medien im Originalton – Ein Bloggespräch mit Peter Müller

Schaut Ihr Filme und Serien immer in der deutsch synchronisierten Fassung? Wenn ja, warum? Was, wenn es ganz selbstverständlich wäre, den Originalton zu bekommen und die eigene Sprache nur wahlweise oder als Untertitel? In den Niederlanden, wo mein heutiger Gesprächspartner lebt, wie auch in vielen anderen Ländern ist das Realität. Über das Für und Wider wollen wir heute reden.

Witze besser im Original

Annette Schwindt

Danke, dass Du dieses Thema vorgeschlagen hast, lieber Peter. Ich bin ja bekennende O-Ton-Schauerin und vertrete die Ansicht, dass sich Deutschland endlich auch von der Synchronisiererei verabschieden sollte. Im TV gibt es selten den O-Ton, auf Netflix ist es normal, in amazon prime wieder nicht. In Kinos muss man O-Ton-Vorstellungen mit der Lupe suchen, wenn man nicht gerade in einer Unistadt wohnt. 

Dabei nimmt die Qualität der Synchronfassungen zusehends ab. Manche Produktionen mutieren gar zum Klamauk, obwohl das Original durchaus niveauvolle Witze oder Anspielungen enthält. Wenn Sheldon im Original von The Big Bang Theory seinen Freund Leonard mit dem „deutschen“ Wort „Uälschmörz“ (Weltschmerz) zu trösten versucht, ist das im Original unglaublich lustig. In der Übersetzung versteht man den Witz gar nicht. Oder die Gilmore Girls, die im Original voll von Zitaten und Anspielungen auf die Pop- und Rockgeschichte sind. Bei einem meiner Lieblingsfilme (The Hallelujah Trail – Vierzig Wagen Westwärts) wurde einfach noch eine zweite Off-Stimme hinzugefügt, die die Satire zum Klamauk verkommen lässt.

Anderes fällt komplett unter den Tisch, wie die Sozio- und Dialekte im Englischen. Hagrid aus Harry Potter spricht die Sprache der working class, während die anderen Lehrer gehobenes Englisch sprechen. Professor McGonagall hat einen schottischen Akzent mit rollendem R, der sie für die Schulanfänger noch furchteinflößender erscheinen lässt. Was damit auch unterschwellig gesagt wird, kommt auf Deutsch gar nicht rüber. Und Hermione heißt nunmal nicht Hermine!

Wie war das für Dich, als Du in die Niederlande gezogen bist? Und wie fühlt es sich jetzt an, wenn Du deutsches TV schaust?

Untertitel helfen Sprache lernen

Peter Müller

Ausländische Filme und Serien werden, wie du schon angesprochen hast, hierzulande nicht synchronisiert, sondern untertitelt. Daher sprechen hier viele Leute relativ fließend und akzentfrei Englisch, denn sie hören schon von früh an wie es klingt. The Big Bang Theory möchte ich mir auf deutsch glaube ich nicht mal vorstellen. 

Mir hat das mit den Untertiteln das Niederländisch-Lernen erleichtert. Man sieht die Bilder, hört Deutsch oder Englisch, und liest Niederländisch. So hatte ich dann einen »Tatort« auf deutsch oder »Midsomer Murders« auf Englisch, und konnte bei beiden die niederländischen Untertitel mitlesen. Perfekt zum Lernen. 

Englisch hat mir schon in der Schule Spaß gemacht, und mit zunehmendem Alter habe ich mich beim Fernsehen dann irgendwann gefragt, woher die amerikanischen Schauspieler alle so gut Deutsch können. Aha. Können die gar nicht? Das sind ganz andere Stimmen? 

Das fand ich komisch, aber ab dem Moment fiel mir dann manchmal auf, dass die  Lippenbewegungen tatsächlich nicht immer synchron sind zu den gesprochenen Worten. Manchmal bewegten sich die Lippen noch, obwohl nichts mehr gesagt wurde, oder waren umgekehrt die Lippen bereits geschlossen, obwohl die Person noch sprach. 

Ich bin in einem 6000-Seelendorf namens Ahlhorn aufgewachsen, in der Nähe von Oldenburg. O-Ton gab es damals auf dem Dorf gar nicht. Es gab auch kein richtiges Kino, nur einen Saal im sogenannten C-Club, einem Veranstaltungszentrum der örtlichen Bundeswehr, das zum Teil auch für Zivilisten zugänglich war. Während der Woche fanden in dem Saal zum Beispiel Tanzkurse statt, und am Wochenende lief manchmal ein Film. Winnetou, James Bond, Bud Spencer oder sowas. 

Auch in der nächstgrößeren Stadt, Oldenburg, gab es sowas kaum. Aber bei jeder Berlin-Reise habe ich mir dort Kinos rausgesucht, die Filme im Original zeigen, und bin dann hingegangen. Dabei war es manchmal sogar egal, was für ein Film gerade gezeigt wurde. Ich habe da z. B. mal eine Schote namens “Repo Man” gesehen, von dem ich echt nur noch den Titel weiß. But it was in English. 

Deutsches TV schauen wir eigentlich kaum noch, und wenn dann höchstens mal zufällig eine Talk-Show im Dritten oder so. Bei Filmen ist die erste Reaktion meist “Oh, das ist ja auf deutsch, nee, lass mal. Gibt’s noch was anderes?”. Englische Filme mit Synchronisierung wirken inzwischen manchmal wirklich komisch. Sean Connery auf Deutsch, das macht keinen Spaß. Seine Stimme und sein Akzent sind Teil des Gesamtkunstwerks.

Und da wären wir wieder beim schottischen Akzent. Von Harry Potter habe ich nur mal (auf deutsch) den ersten Band gelesen, die Akzente habe ich also nie gehört, aber »Hermine« heißt im Original gar nicht »Hermine«? 

Schulenglisch mit Hörbüchern verbessert

Annette Schwindt

Nein und ich verstehe auch nicht, warum sie umbenannt wird, die anderen aber nicht. Aus Harry Potter wird ja auch nicht Harald Töpfer. Und wenn ich dann „Muggel“ statt „muggles“ höre und all die Eindeutschungen, da macht das gar keinen Spaß mehr. Ich meine, allein der erste Satz von Harry Potter strotzt derart von britischer Spießigkeit, das KANN man nicht übersetzen:

„Mr. and Mrs. Dursley of number four Privet Drive were proud to say that they were perfectly normal, thank you very much!“ 

J.K. Rowling, Harry Potter and the Philosopher’s Stone

Übrigens wurde andere Helden tatsächlich schon mal umbenannt. So heißt Michel aus Lönneberga im Original eigentlich Emil. Das hat man dann aber geändert, vielleicht wegen zu starker Ähnlichkeit zu Emil und die Detektive?

In Deutschland wird ja selbst der Fremdsprachenunterricht an Schulen oder Unis noch oft auf Deutsch gehalten. Mein Mann Thomas hat sein so entstandenes Schulenglisch, das für die Praxis nicht taugte, mit den Harry Potter Hörbüchern (gelesen vom wundervollen Stephen Fry) verbessert und schaut und hört mit mir seitdem alles, was geht, begeistert in englischem O-Ton. 

Was mir auch immer hilft, ist Musik in der betreffenden Fremdsprache, gerade auch um Aussprache zu lernen. So singe ich dann schon mal türkischen oder finnischen Rock, portugiesischen Jazz oder norwegischen Independent mit und lerne dabei immer weiter. 

Hast Du durch die O-Töne bei Euch im TV schon Fremdsprachiges gelernt?

Synchronisierung fällt – meistens – durch

Peter Müller

Haha, Niederländisch natürlich! Im Ernst. Holländische Sendungen im O-Ton helfen beim Lernen natürlich noch mehr als englische oder deutsche mit Untertiteln, weil man dann auch gleich die Aussprache mitgeliefert bekommt. 

Andere Sprachen als Deutsch, Englisch oder Niederländisch habe ich anfangs nicht geschaut, denn erstens gab es nicht so wahnsinnig viel, und zweitens ist es schwierig, dem Inhalt zu folgen, wenn du noch nicht genug niederländisch für die Untertitel kannst, und dann eine unbekannte Sprache gesprochen wird. 

Aber ein paar Jahre später ging das schon viel besser. Wir sind dann beim Zappen irgendwann mal auf dem belgischen Sender Canvas hängen geblieben. Die Serie wurde im Original gesprochen, und wie sich später rausstellte war das Dänisch. Borgen, so der Titel, ist anscheinend die umgangssprachliche Bezeichnung für den Sitz des dänischen Parlaments. Dänisch klingt einfach herrlich, und manchmal versteht man sogar einzelne Worte! Eine Frau wird Premier, und das heißt dann statsminister. Anscheinend hieß die Serie in Deutschland Gefährliche Seilschaften? Juih. 

Synchronisierung ist aber ja wie du schon erwähnt hast nicht immer eine wörtliche Übersetzung, und in Ausnahmefällen wirkt sich das sogar positiv aus. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Krimiserie namens “Die 2” mit Roger Moore und Tony Curtis. Das war echt Kult, und wir haben in den 80ern sogar die Proben unserer Band frühzeitig beendet, damit wir um 21 Uhr vor dem Fernseher sitzen konnten. Die Dialoge waren gespickt mit flapsigen Sprüchen, Begriffen wie Zeiteisen statt Uhr und es hat einfach Spaß gemacht, den beiden zuzuhören. Irgendwann habe ich dann mal eine Folge auf Englisch gesehen, und das war vergleichsweise langweilig. 

Aber in den allermeisten Fällen bevorzuge ich das Original. Eddie Murphy zum Beispiel hat eine Synchronstimme, die ich ziemlich nervig finde. Überdreht, hektisch und kaum auszuhalten. Irgendwann habe ich dann Beverly Hills Cop mal auf Englisch gesehen, und der Mann hat eine ganz normale Stimme. Das war völlig anders. 

Wie ist es bei dir eigentlich mit Untertiteln? Hast du die an, wenn du O-Ton guckst? Und wenn ja, in welcher Sprache? 

Bruchstücke ergänzen

Annette Schwindt

Borgen heißt auf deutsch auch so. Gefährliche Seilschaften ist nur der erweiterte Titel. Ich hab mal versucht, das im O-Ton zu schauen, aber ich finde Dänisch klingt so ulkig. Ein Freund aus Norwegen sagt, das sei das Schwyzerdütsch von Skandinavien. 😉

Ich bin mit verschiedenen Sprachen im Alltag aufgewachsen, da meine Familie väterlicherseits donaudeutsch ist. Wenn wir Kinder da was nicht mitkriegen sollten, haben die Erwachsenen serbokroatisch oder ungarisch geredet. Meine Freunde kamen aus spanischen und italienischen Familien, die Mutter meiner besten Freundin im Kindergarten war Französin. Das fand ich schon damals spannend. Ich mag auch Dialekte und Akzente.

Untertitel benutze ich dann, wenn ich die Originalsprache nicht beherrsche, weil es mich sonst reizüberflutet. Manchmal gibt es auch nur englische und keine deutschen Untertitel, wie z.B. als wir norwegische Filme auf DVD geschenkt bekamen, die es bei uns gar nicht gibt. Da lernt man dann so bedeutende Sätze wie „Har du sprit?“ Do you have booze?“ 😉

Mich reizt in solchen Fällen ja, was aus der neuen Sprache zu verstehen, oder zu lernen. Deswegen schaue ich auch gern mal was auf Japanisch oder sonst einer Sprache, die ich nicht oder nur bruchstückhaft kann. Oder höre wie schon gesagt Musik in diesen Sprachen und erarbeite ich mir so immer wieder Wörter oder Sätze.

So habe ich damals z.B. auch wegen Angelo Branduardi Italienisch gelernt. Heute halte ich mein Französisch damit lebendig, dass ich französisches Fernsehen oder Filme schaue.

Hierzulande bin ich mit der Nutzung des O-Tons aber in der krassen Minderheit. Spricht man sich für eine Abschaffung der Synchronisierung aus, erntet man Empörung. Was denkst Du, woran das liegt?

Untertitel helfen bei eingeschränktem Hören

Peter Müller

Keine Ahnung. Vielleicht eine Mischung aus mangelnder Notwendigkeit, eine andere Sprache zu lernen, und reiner Gewohnheit. Menschen sind Gewohnheitstiere, und wenn man es von jung an gewohnt ist, dass im Fernsehen immer alle nur Deutsch reden, dann will man das später auch nicht mehr geändert wissen. 

Aber noch mal was ganz anders: für mich geht es bei der Untertitelung inzwischen gar nicht mehr so sehr darum, etwas im Originalton zu schauen, denn aufgrund meiner zunehmenden Schwerhörigkeit werden Untertitel im Alltag für mich deutlich wichtiger. 

Was anfangs ein netter Nebeneffekt zum besseren Sprachen Lernen war, ist inzwischen also eher eine Notwendigkeit geworden, und bei vielen Streaming-Diensten sind Untertitel netterweise gleich dabei. Sogar die automatisch generierten Untertitel von YouTube nutze ich gerne. Sie mögen nicht perfekt und manchmal echt witzig sein, aber sie helfen beim Verstehen des Inhalts, und das zählt letztendlich. 

Annette Schwindt

Ja, für die Youtube-Untertitel bin ich auch oft dankbar, wenn ich ein Video weiterempfehlen will, von dem ich weiß, dass viele den Inhalt sonst nicht verstehen. Und natürlich für Menschen mit eingeschränktem Hören. Denen nutzt eine Synchronisierung allein nämlich auch nichts.

Danke Dir fürs Mitmachen bei diesem Bloggespräch! 

Über meinen Gesprächspartner

Peter Müller wurde in Norddeutschland geboren, lebt aber seit vielen Jahren in den Niederlanden. Er ist Autor von Fachbüchern und Videokursen zu verschiedenen Webthemen. Seine Spezialität ist es, trockene und komplizierte Sachverhalte auf einfache und unterhaltsame Weise darzustellen. pmueller.de

Titelfoto: Peter Müller
Avatar von Annette: tutticonfetti

In meiner Rubrik „Bloggespräche“ unterhalte ich mich mit einem Gegenüber über ein frei gewähltes Thema wie in einem Mini-Briefwechsel. Wer auch mal so ein Gespräch mit mir führen möchte, findet alle nötigen Infos dazu unter https://www.annetteschwindt.de/bloggespraeche/ und kann sich von dort direkt bei mir melden.


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