(Gastbeitrag zur 62. Blognacht)
Nachdem ich letztens zum Mittagessen Seelachsfilet mit Champignonkruste gegessen hatte, wurde ich schläfrig. Eigentlich hatte ich nur kurz meine Zeitungslektüre unterbrechen, mir schnell etwas kochen und essen und dann gleich weiterlesen wollen. Als ich dann aber mit meiner Zeitungsapp wieder auf dem Sofa saß, wurden mir die Augenlider immer schwerer und als ich einen Absatz zum zehnten mal zu lesen begann, ohne wirklich zu verstehen, was diese ganzen Buchstaben zu bedeuten haben könnten, hörte ich auf einmal eine Stimme aus meinem Magen. „Zack! Schon bin ich wieder da!“ Nanu, dachte ich, warum fange ich während des Lesens an zu träumen? Als ich mich jedoch umsah, erkannte ich, dass ich hellwach war. Nur mein rechter Fuß fühlte sich seltsam an. Irgendwie taub, ich musste wohl darauf gesessen haben.
„Heute lasse ich mich nicht durch dein Mineralwasser wieder ausschwemmen, nicht schon wieder. Dieses mal bleibe ich.“, tönte es aus meinem Magen. „Du brauchst dir sowieso keine Hoffnungen zu machen, wir sind zu viele und wir kommen immer wieder.“ Ich muss zugeben, ich war irritiert. Und, jawohl, auch etwas beunruhigt. „Wer bist Du und wie kommst Du in meinen Magen?“ Ich hatte diese Worte eigentlich bestimmt und mit lauter Stimme sagen wollen, bekam das aber nicht sehr überzeugend hin. „Ich bin der Joghurtbecher. Der, den Du vor vierzig Jahren an der Autobahnraststätte in den überfüllten Mülleimer geworfen hast. Erinnerst Du dich?“
„Was für ein Joghurtbecher?“ „Mango-Zitrone-Joghurt, das musst Du doch noch wissen. Du warst auf dem Weg in den Urlaub und hast mich in dem Laden der Raststätte gekauft.“ Ich dachte angestrengt nach, konnte mich aber nicht erinnern. „Ist ja auch egal, Du hast mich leer gegessen, sagtest noch, dass sich diese Geschmacksrichtung wohl kaum durchsetzen dürfte und hast mich dann zu dem anderen Müll geworfen. Als Du weitergefahren warst, hat ein Rabe den Mülleimer durchstöbert, dabei bin ich dann aus dem Mülleimer auf die Fahrbahn gefallen. Ein LKW ist über mich drüber gefahren und hat mich ein Stück mitgeschleift.“ Die Stimme aus meinem Magen klang genervt und ein wenig beleidigt.
„Und wie kommt jetzt ein Joghurtbecher in meinen Magen? Das ist ja wohl die blödeste Geschichte, die ich je gehört habe!“ Ich versuchte aggressiv zu klingen, um diese Situation in den Griff zu bekommen. Die Wirkung, die meine Worte erzielten, war allerdings eher enttäuschend. „Ach weißt Du, keiner glaubt mir so richtig, wenn ich mich zu erkennen gebe. Ein Joghurtbecher, achtlos weggeworfen, wer will den schon wiedersehen? Du musst aber wissen, ich bin aus Plastik und deswegen unsterblich. Klar, der LKW-Reifen hat mir ganz schön zugesetzt und er blieb auch nicht der einige. Ich wurde ziemlich stark zerrieben und verteilt. Beim nächsten starken Regen wurde ich von der Straße in den Straßengraben geschwemmt und habe mich dort zu Mikroplastikteilchen zersetzt. Ja, so ist das. Ich bin zu klein, als dass Du mich sehen könntest, ich werde aber immer da sein, ob Du das nun willst oder nicht. Und weißt Du, ich habe mich – obwohl Du mich weggeworfen hast – in Dich verliebt und werde für immer bei Dir bleiben. Ist das nicht wunderbar?“
Ich redete mir ein, dass diese verrückte Geschichte der beste Beweis war, dass ich doch nicht so wach war, wie ich angenommen hatte. Ich versuchte, diesen schlechten Traum durch Logik zu beenden. „Wie solltest Du denn bitte als Mikroplastikteilchen von irgend einem Straßengraben aus, zu mir zurückkommen?“ – „Na über das Wasser! Aus dem Straßengraben in die Kanalisation, in den Fluss und dann ins Meer. Da hat mich ein Seelachs verschluckt und der wurde zu Fischfilet verarbeitet. Was hast Du noch gerade gegessen?“ Ha! Das war dann doch eine Spur zu unwahrscheinlich, um wahr zu sein. Ein Mikroplastikteilchen, das sich gerade von dem Seelachs verschlucken lässt, der auf meinem Teller landet. Welcher Trottel denkt sich denn so etwas aus? „Ich weiß, das ist unwahrscheinlich, hörte ich die Stimme aus meinem Bauch. Fakt ist aber, dass ich zu Dir zurückkehre. Alle Mikroplastikteilchen aus dem Joghurtbecher. Wir sind viele und wir gehören alle zu Dir. Wir sind schon überall in Dir, können Deine Gedanken lesen und nach und nach wirst Du genau so, wie wir. Zusammen werden wir unsterblich. Ist das nicht wunderbar? Wir gemeinsam bis in alle Ewigkeit!“
Mit einem Schrei wachte ich auf, mein Kopf war auf mein Tablet gefallen, die Zeitungsapp noch geöffnet. Der Seelachs lag mir doch ziemlich schwer im Magen. Angestrengt hörte ich in mich hinein. Waren da noch irgendwelche Stimmen in meinem Magen? Nach einer Weile, es war glücklicherweise ruhig geblieben, konnte ich mich endgültig davon überzeugen, wieder in der Realität angekommen zu sein. Alles war in Ordnung, nur mein rechter Fuß war immer noch taub. Ich massierte ihn etwas und stutzte. Ich zog meinen Schuh aus, dann meinen Strumpf. Entsetzt sah ich an mir herab und Panik stieg in mir auf. Mein Fuß war aus Plastik!
Titelbild: Perplexity
Dies ist ein Beitrag zur 62. Blognacht von Anna Koschinski, den Thomas in Ermangelung eines eigenen Blogs hier veröffentlicht hat.