In was für einer Gesellschaft will ich leben?

Ein Bloggespräch mit Thami Bentla

Manchmal schreibt das Leben die schönsten Geschichten! So wurden Thami und ich zunächst nur zufällig im offenen Gruppengespräch bei Little World zusammengeschaltet. Dabei haben wir uns so gut verstanden, dass wir uns auch zu einer festen Sprachpatenschaft verbinden ließen. In den wenigen Monaten seitdem haben wir schon einiges zusammen erlebt. Allerdings ist Thami bisher noch in Marokko und ich in Deutschland. Aber demnächst wird er hierher kommen, um für einen Pflegeanbieter in NRW zu arbeiten, der ihn in Marokko eigens dafür ausgebildet hat. Ich begleite ihn beim Verbessern seiner bereits sehr guten Deutschkenntnisse (Anm.: ich musste hier fast nichts korrigieren) und unterhalte mich dabei mit ihm über alle möglichen Themen. So kamen wir auch darauf, dieses Bloggespräch zu führen.

Annette

Lieber Thami, ich finde das wirklich toll, dass Du so ein Bloggespräch mit mir führen möchtest! Nicht nur wegen der verschiedenen Perspektiven hinsichtlich Alter, Kultur, Religion etc., sondern auch weil Du gerade erst Deine B1-Prüfung in Deutsch gemacht hast. Was gefällt Dir so an diesem Format und warum hast Du Dich für das Thema „In was für einer Gesellschaft will ich leben?“ entschieden?

Aufbruch in ein neues Leben

Thami

Du hast absolut recht, liebe Annette. Dich kennenzulernen war für mich eigentlich der schönste Zufall. Ich habe mich bei Little-World angemeldet, ohne zu wissen, wie es funktioniert. Das Einzige, was ich damals darüber wusste, war, dass man dort ein bisschen mit Muttersprachlern sprechen kann. Ich hatte keine Ahnung, dass man dort sogar einen Sprachpaten finden kann!

Bis zu dem Moment (ein Gruppengespräch bei Little-World, das wöchentlich stattfindet), in dem ich dich kennengelernt habe. Das ist zwar nicht unser Thema, aber ich wollte einfach mal die Geschichte dahinter erzählen. Eigentlich ist es mein erstes Mal, ein Bloggespräch zu führen. Die Idee fand ich richtig toll, weil wir unseren Austausch als eine schöne Erinnerung festhalten können.

Wie du schon weißt, bin ich in einer anderen Kultur aufgewachsen. Bald werde ich eine neue Kultur entdecken – die deutsche Kultur. Das bedeutet, dass eine neue Gesellschaft und ein neues Leben auf mich warten. Ich habe mir ein Bild davon gemacht, wie das Leben dort sein könnte. Dort werde ich frei leben können.

In meiner Gesellschaft gibt es viele Grenzen, die man nicht so leicht überwinden kann. Liebe Annette, denkst du, dass ich in Deutschland wirklich ein freies Leben führen kann – ohne Grenzen? Denkst du auch, dass ich mich dort gut integrieren kann

Andere Lebensentwürfe

Annette

Also, was Deine Sprachkenntnisse betrifft, bist Du sehr gut vorbereitet! Und da Du gleich einen Arbeitsplatz und eine Wohnung haben wirst, bist Du auch dahingehend mit Deinen Kollegen schon eingebunden. Und dann hast Du ja auch noch Thomas und mich und die Community von Little World. 😉

Was die Menschen allgemein angeht, ist es in Deutschland wie überall: Es gibt freundliche, aufgeschlossene Menschen und es gibt unfreundliche, fremdenfeindliche Menschen. Ich wünsche Dir, dass Du mehr von der ersten Sorte triffst.

Und ja, manche Dinge sind hier freier, gerade was alternative Lebensentwürfe angeht. Hier darf jeder glauben und so leben und lieben, wie er möchte, solange er die Menschenwürde respektiert, niemanden verletzt und den öffentlichen Frieden nicht stört. Wenn jemandem etwas nicht gefällt, dann darf er das sagen, es sei denn er ruft zu Hass und Gewalt gegen andere auf (Volksverhetzung). Aber niemand schreibt Dir vor, was Du glauben oder wählen sollst.

Soziale Ungleichheit gibt es aber auch hier in Deutschland. Nur wissen die meisten nicht, wie das Ganze verglichen mit dem Rest der Welt aussieht, weil sie sich nur mit denen vergleichen, die mehr haben als sie selbst. Mir wäre es lieber, die Menschen würden einander mehr helfen. Wie ist das mit der Solidarität in Marokko?

Solidarität in Stadt und Land

Thami

Schon die Idee, dass ich in einem neuen Land nicht alleine leben werde, macht mich einfach glücklich. Glück und Schicksal haben mir die Möglichkeit gegeben, dich und Thomas kennenzulernen. Das wird mir sehr helfen, mehr über das Land zu erfahren. Über die Gesellschaft und Kultur Deutschlands habe ich viel in den Nachrichten, Fernsehsendungen und Internet-Beiträgen erfahren. Aber nichts ist besser als die direkte Kommunikation und Gespräche, ganz besonders mit dir, Annette!

Seitdem ich hier bin, habe ich vieles erlebt. Ich habe auch gesehen, wie sich Menschen gut und schlecht miteinander benehmen. In meinem Leben habe ich bemerkt, dass der soziale Status eine wichtige Rolle spielt. Je mehr Geld und Macht man hat, desto besser wird man behandelt. Wegen Geld und Macht geht oft die Solidarität verloren. Aber es gibt ein marokkanisches Sprichwort, das sagt: Menschen sind wie Steine und Ziegel. Das heißt, dass Menschen keine Kopien voneinander sind – genauso wie in Deutschland.

Leute auf dem Dorf leben in Gemeinschaft, während die in der Stadt eher in Einsamkeit leben. In der Stadt lebt jede Person nur für sich selbst. Solidarität ist dort eher selten, sogar unter Familien gibt es sie manchmal nicht.

Aber lassen wir das Thema beiseite, und lass mich dir von meiner Arbeit erzählen. Bei uns hier gibt es nur wenige Altenheime. Das hat natürlich einen Grund: Menschen kümmern sich mehr um ihre Eltern und Geschwister. Die Eltern investieren viel Zeit, Kraft und Mühe, um ihre Kinder großzuziehen. Die Kinder sollten ihnen diesen Gefallen später zurückgeben. Man möchte die letzten Lebenstage nicht alleine unter Fremden verbringen, sondern bei seiner Familie.

Andererseits ist die Situation auf dem Land einfach besser: Dort kann man Solidarität deutlich spüren. Zum Beispiel, wenn jemand eine Hochzeit feiert, sollte man das ganze Dorf einladen. Dasselbe passiert, wenn ein Unglück wie der Tod eines Menschen eintritt: Das ganze Dorf wird traurig sein.

Die dörfliche Gesellschaft gefällt mir am besten, weil die Leute dort stark miteinander verbunden sind. Manchmal gibt es natürlich auch Konflikte – davon werde ich dir ein anderes Mal erzählen. Aber bevor ich das mache, wollte ich dich einfach fragen: Welche Gesellschaft von den Beispielen, die ich dir gegeben habe, gefällt dir besser?

Soziale Kontrolle und Individualität

Annette

Da bin ich zwiegespalten… Einerseits mag ich den Zusammenhalt und das gegenseitige Unterstützen, aber andererseits sind der Gruppendruck und die soziale Kontrolle sehr hoch. Das heißt, der einzelne Mensch hat weniger Raum für Individualität und Selbstbestimmung. Ich denke, es kommt auf die richtige Mischung an.

Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen und habe das ganze Programm mit Kirche und Kinderchor mitgemacht. Und das auch noch in der Zeit vor Internet und Privatfernsehen. Das heißt, wir haben viel draußen gespielt und viele Gemeinschaftsaktivitäten mit dem Dorf mitgemacht. Außerdem gehörte meinem Onkel der Tante-Emma-Laden samt Metzgerei im Viertel. Das war ein wichtiger sozialer Treffpunkt, an dem man alles besprochen hat.

Jeder kannte jeden, und man wusste, wen man wofür um Rat fragen konnte. Dabei passierte sehr viel ohne Geld. Stattdessen trug jeder das bei, was er am besten konnte. Meine Oma hat zum Beispiel viel für andere gebacken. Egal ob für Feste oder einfach so. Und wenn etwas besonders Aufwändiges gekocht wurde, hat sie immer extra viel gemacht und damit auch Nachbarn und Freunde versorgt. Der Zusammenhalt war toll, aber es wurde auch viel getratscht und gelästert und das war nicht so schön.
In der Stadt ist es leichter, seine Individualität zu leben, aber dafür ist es auch einsamer. Es sei denn, man ist zum Beispiel in einem Verein oder einer anderen Gruppe, wie zum Beispiel in der Nachbarschaft, aktiv. Dann kann man innerhalb dieser Gruppe Zusammenhalt erfahren, aber außerhalb davon trotzdem individuell leben. Kannst Du Dir vorstellen, was ich meine?

Werte und Sinn

Thami

Ja, ich kann mir das sehr gut vorstellen, was du beschreibst. Man tut, was man kann. Jede Person beteiligt sich mit dem, was sie am besten beherrscht. Deine Erzählung ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie es sein könnte, wenn man ohne Papier oder Geld leben könnte. Das zeigt mir auch, dass ich keinen Job nur deshalb auswählen sollte, weil ich damit viel Geld verdienen kann. Stattdessen möchte ich etwas tun, das ich genieße und liebe.

In unserer modernen Gesellschaft sind solche Werte leider oft verschwunden, besonders wenn wir über unsere Aufgaben oder Berufe sprechen. Das bedeutet nicht, dass alle Menschen gleich sind, aber viele haben den Sinn des Lebens aus meiner Sicht falsch verstanden. Ich weiß nicht, ob das in Deutschland oder Europa auch so ist, aber hier ist das Leben leider so. Viele Jugendliche studieren Fächer nicht aus Liebe, sondern wegen ihres materiellen Werts. Zum Glück habe ich das nicht gemacht. Mit meinem Weg bin ich bisher zufrieden. Gott sei Dank habe ich Gelassenheit erreicht. Was denkst Du, liebe Annette – könnte das Leben oder die Gesellschaft ohne Geld besser funktionieren?

Das Thema Geld

Annette

Mir persönlich wäre eine Gesellschaft ganz ohne Geld, in der alle miteinander teilen, am liebsten. Aber ich glaube, eine Gesellschaft ganz ohne Geld wird es nicht mehr geben.

Es gibt Versuche, die Verteilung fairer zu machen, zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das führt nachweislich dazu, dass die Menschen weniger krank werden und glücklicher sind, weil sie sich nicht mehr um die Existenz sorgen müssen. Sie gehen ja trotzdem arbeiten, um sich all das leisten zu können, was nicht zur unmittelbaren Existenzsicherung gehört. Und auch um eine sinnvolle Beschäftigung zu haben. Dabei können sie dann vielleicht eher das tun, was zu ihnen passt, oder was gerade gebraucht wird.

Ein anderes Experiment ist das der Regionalwährungen. Da kannst Du einen Teil Deines Geldes in eine Währung umtauschen, die Du nur in einem bestimmten Umkreis bei lokalen oder regionalen Unternehmen verwenden kannst. Dadurch wird die Wirtschaft vor Ort gestärkt, was weitere positive Folgen hat, wie zum Beispiel für das Klima.

Ich denke, was auf jeden Fall eingeführt werden sollte, ist die zurzeit überall auf der Welt geforderte Steuer für Superreiche. Es gibt sogar Millionäre, die das selbst unterstützen. Schließlich sorgen andere dafür, dass ihre Unternehmen so viel Geld verdienen. Da sollten sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen und die Gewinne gerechter verteilen.

Was denkst Du, wie man das Geld und auch die Ressourcen auf der Welt gerechter verteilen könnte?

Ungleiche Ressourcenverteilung

Thami

Die Ideen und Versuche, die du jetzt erwähnt hast, sind theoretisch großartig und können viele Probleme lösen. Das Problem liegt am Willen der Machthaber. Kein Machthaber will etwas Gutes tun. Ich finde es schade, dass nur ein Prozent der Menschen alle Ressourcen der Welt kontrolliert.

Die Frage, die du mir gestellt hast, ist sehr philosophisch. Man sollte die Welt bereisen, andere Kulturen kennenlernen und viel über die Geschichte lesen, um eine ausführliche Antwort darauf zu finden. Ich bin eine einfache Person. Deshalb werde ich nur eine einfache und spontane Antwort darauf geben.

Liebe Annette, wenn wir die Erde von ganz oben betrachten, sehen wir das blaue Meer, Wüsten, grüne Länder usw. Sogar Berge können wir von oben sehen. Diese Naturressourcen sind nicht gleich verteilt. Jeder Ort hat seine eigenen Charakteristika.

Was ich eigentlich meine, ist, dass sogar die Ressourcen der Erde nicht gleich und gerecht verteilt sind. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass dieser Versuch nicht funktionieren wird. Es wird immer Reiche und Arme geben, weil es auf der Erde reiche und arme Orte gibt. Wir sind ein Teil der Natur und damit auch ein Teil der Erde.

Aber das Leben ist nicht nur schwarz und weiß. Es gibt natürlich auch andere Farben. Es wäre schön, wenn die Menschen verpflichtet wären, immer einen Teil ihres Geldes (ihrer Ressourcen) mit den Armen zu teilen. Das sollte kein Gefallen sein. Sie sollen es tun, sonst sollten sie bestraft werden. Anders gesagt: Das sollte ein Muss sein und kein „Soll“.

Wie können wir das erreichen? Ein Beispiel: Stell dir einfach mal vor, dass eine Person zehn Stücke Schokolade hat. Sie hat diese Stücke seit einem Jahr! Das heißt, sie hat nie ein Stück davon gegessen. Wenn man kein Stück gegessen hat, bedeutet das, dass man keinen Hunger hatte. Wenn man keinen Hunger hat, lagert man die Stücke Schokolade im Kühlschrank (Bank). Wenn wir merken, dass jemand diese Stücke seit einem Jahr gelagert hat, ohne sie zu essen, sollten wir ihn dazu verpflichten, ein Stück davon den Armen zu spenden.

Das ist nur eine subjektive Lösung. Denkst du, dass solche individuellen Lösungen funktionieren können? Oder sollte man einem Buch folgen – wie zum Beispiel einem religiösen Buch?

Angst vor Rückwärtsgewandheit

Annette

Oje… bisher haben wir beide ja noch kein Gespräch über meine Sicht auf das Thema Religion geführt. Das sollten wir vielleicht auch besser persönlich machen. Meine diplomatische Antwort auf Deine Frage lautet daher: Solange jemand alle Menschen als gleichwertig behandelt, niemandem schadet und nicht meint, alle müssten seinem Glauben folgen, kann er sich gern nach einem Buch richten, wenn es ihm gefällt. Ich persönlich tue das nicht.

Ich hoffe immer noch darauf, dass die Menschen durch eigenständiges Denken und Erleben begreifen, dass wir alle zusammengehören und uns als Teil der Natur begreifen müssen. Dann wäre jedem klar, dass wir nur fortbestehen können, wenn wir Wissen und Ressourcen teilen und uns gegenseitig helfen. Aber laut Star Trek passiert das ja erst im 22. Jahrhundert. 😉 Jetzt müssen wir erst mal dafür sorgen, dass die Menschheit bis dahin nicht den Planeten unbewohnbar macht…

Es macht mir Angst, wenn ich sehe, wie sich manche Regierungen auf der Welt rückwärts statt vorwärts wenden und wie die Menschen sich das einfach gefallen lassen, weil man ihnen einfache Lösungen auf komplexe Probleme verspricht. Als wären sie kleine Kinder, die sich vor den Problemen der Welt die Augen zuhalten und denken, dann wären sie nicht mehr da.

Dein Bild mit der Schokolade gefällt mir, es passt nur an einer Stelle nicht: Schokolade wird irgendwann schlecht, Geld nicht. Es wäre vielleicht mal interessant zu sehen, was passiert, wenn Geld ein Haltbarkeitsdatum bekäme.: „Best spent before…“. 😉

Interessant ist auch, dass wir hier so viel über Geld reden, aber letztendlich hängt eben alles daran. Ich finde das nicht gut. Bestimmte Dinge sollten für alle selbstverständlich gegeben sein, ohne dass man extra dafür bezahlen muss. Welche Dinge wären das für Dich?

Zeit sinnvoll nutzen

Thami

Ja, wir haben viel über Geld und Materielles geredet. Aber darum geht es im Leben nicht. Das ist nur ein Teil davon. Leider sehen viele Menschen heutzutage nur das Lukrative, das immer mit Münzen und Papier verbunden ist. Das finde ich persönlich schade, denn das Leben und die Menschen haben viel mehr zu bieten.

Zeit ist für mich am wichtigsten. Zeit ist ein Geschenk – ja, sogar mehr als das. Wenn wir uns die Zeit nehmen, einander zu unterstützen und zu helfen, wäre das perfekt für unsere Gesellschaft. Ich persönlich hasse die „Alles-ist-meins“-Mentalität. Unsere Zeit gehört nicht nur uns – sie gehört auch den anderen (Menschen und Dingen). Wenn wir die Zeit nicht nutzen, vergeht sie einfach. Wir haben eine falsche Haltung angenommen: dass wir Zeit nur für uns selbst investieren sollen. Das ist völlig falsch und fördert eine egoistische Denkweise. Die Zeit ist da, um sich umeinander zu kümmern.

Wenn wir das tun, stärkt das das Miteinander. Wir können nicht alleine leben – wir brauchen einander. Die anderen sind nicht nur da, um uns zu nützen. Das Leben geht nicht nur um Geben und Nehmen. Es geht vielmehr um Mitgefühl. Die Natur gibt uns alles – ohne bestimmte Erwartungen. Warum sollten wir uns also immer nur auf Erwartungen (wie Einkommen) konzentrieren? Das Leben funktioniert nicht so. Es geht darum, was wir füreinander tun können – ohne Erwartungen im Voraus.

Das ist meine Denkweise. Jetzt habe ich eine Frage an dich, liebe Annette: Wenn es im Leben nicht nur um materielle Dinge (wie z.B. Geld) geht, was sollte man im Leben priorisieren? Was denkst du?

Menschen miteinander verbinden

Annette

Ich denke, dass es im Leben um Verbindung geht. Genauer gesagt um die Verbindung von Menschen miteinander. Das kann analog passieren, aber auch digital, so wie bei uns. Wichtig ist dabei, Empathie füreinander zu haben und einander zuzuhören, wichtige Momente miteinander zu teilen und einander beizustehen.

Manche sagen, das sei auf digitalem Weg nicht möglich, aber ich erlebe immer wieder das Gegenteil. Wie zum Beispiel bei uns beiden. Für Menschen wie mich, die schnell reizüberflutet sind, ist Verbindung digital außerdem viel stressfreier als analog. Aber dazu muss man sich eben wirklich aufeinander einlassen können. Das können viele schon analog nicht.

Was mich zum Thema Vielfalt bringt. Ich bin in einer vielfältigen Gemeinschaft aufgewachsen – was Sprachen und Herkunft betrifft, aber auch Alter, Bildung und Einkommen, physische oder kognitive Fähigkeiten, später auch die sexuelle Orientierung. Das fand ich von klein auf spannend und kann daher bis heute nicht verstehen, warum so viele Menschen andere ausgrenzen wollen, oder gar glauben, sie wären besser als andere.

Wir alle haben letztendlich dieselben Wurzeln, weil wir alle Menschen sind. Wir haben alle einen Migrationshintergrund und sind anderswo Ausländer und wir alle brauchen mal Hilfe. Möchten wir dann so behandelt werden, wie es einige mit den angeblich anderen tun? Nein! Es gibt eine Redewendung im Deutschen: „Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg‘ auch keinem and’ren zu.“ Das ist auch die umgangssprachliche Version des kategorischen Imperativs von Immanuel Kant.
In der gesamten Natur zeigt sich, dass nur vielfältige Populationen überleben können.

Wo sich Monokultur ausbreitet, geht das gesamte Gleichgewicht kaputt. Die Menschen haben aber vergessen oder verdrängen, dass sie Teil der Natur sind. Sie glauben, für alles ließe sich mit Technik eine Lösung finden. Aber zu wessen Lasten geht das dann? Und wie lange kann das noch so weitergehen? Die Natur braucht uns nicht. Aber wir brauchen die Natur. Warum begreift die Menschheit das nicht?
Was glaubst du? Können wir etwas dafür tun, dass es doch noch einmal besser wird? Und wenn ja, was? Hiermit überlasse ich Dir das Schlusswort und danke Dir für dieses wunderbare Gespräch.

Wir brauchen mehr Empathie

Thami

Mein Lieblingsstichwort, wenn es um unsere Gesellschaft geht, ist Empathie. Aber warum eigentlich dieses Wort? Empathie bedeutet Mitgefühl – das heißt, dass ich mit anderen fühlen kann. Das ist wichtig, weil jeder Mensch seinen eigenen Körper und seine eigene Seele hat. Doch Empathie macht es möglich, dass wir eine Verbindung zwischen diesen beiden getrennten Einheiten (unserem Körper und unserer Seele und denen der anderen) herstellen können.

Ohne Empathie können wir andere Menschen nicht wirklich akzeptieren oder uns bemühen, ihnen zuzuhören. Es ist wichtig, dass wir anderen zuhören – wir tun das, weil wir verstehen wollen, wie es der anderen Person geht. Meiner Meinung nach hat Empathie zwei Phasen: eine passive und eine aktive Phase. Aber wann beginnt eigentlich jede Phase? Die passive Phase tritt ein, wenn wir uns begegnen und uns bemühen, einander zuzuhören. Hier ist Empathie zwar vorhanden, aber eher passiv. Wenn wir jedoch Mitgefühl zeigen, Verständnis ausdrücken und uns in die Lage der anderen Person versetzen, wird Empathie aktiv.

Diesen Prozess erlebt jeder Mensch, doch es gibt Ausnahmen. Aber was genau sind diese Ausnahmen? Die einzige Ausnahme, die Empathie verhindern kann, ist Egoismus. Wer egoistisch ist, hört nicht zu. Ohne Zuhören funktioniert auch keine passive Empathie – man bleibt in seinen eigenen Grenzen und will die Welt nicht sehen. So bleibt man in seinem inneren Gefängnis gefangen.

Empathie ist nicht nur ein Gefühl, sondern ein Fenster. Durch dieses Fenster kann man die Welt aus vielen Perspektiven betrachten. Dabei entdeckt man tatsächlich die Vielfalt. Aktive Empathie gibt uns die Möglichkeit, die Welt durch die Augen anderer zu sehen. Aus diesem Grund braucht unsere Gesellschaft mehr Empathie. Unsere Welt könnte schöner und vielfältiger erscheinen, wenn wir mehr über Empathie lernen würden.

Über meinen Gesprächspartner

Thami ist 25 Jahre alt, Marokkaner und Pflegefachassistent von Beruf. Er arbeitet bereits im sozialen Bereich und interessiert sich für alles, was Menschen betrifft. Und er ist Bayern-München-Fan. 😉

Von Annette Schwindt

Diese Website ist mein Room of Requirement. Hier bewahre ich alles auf, was von meinen früheren Websites bis 2016 zum Löschen zu schade war. Seitdem füge ich Neues zu allen möglichen Themen hinzu: Ich habe ein Faible für Sprache(n), für Geschichten und Gespräche. Ich liebe Kunst, Musik und alles Kreative und vor allem macht es mir Freude, Menschen miteinander zu verbinden. Viel Spaß beim Stöbern!

3 Antworten auf „In was für einer Gesellschaft will ich leben?“

Was für ein interessantes und zugleich bewegendes Gespräch. Ich danke Dir liebe Annette, dass Du mit dem Format Deiner Bloggespräche dafür eine so wertvolle Bühne bietest, auf der das große Spektrum unseres Menschseins seinen Ausdruck finden darf.
Ich danke Dir Thami für Deine Offenheit und Ehrlichkeit. Ich bin ganz bei Dir, dass die aktive Empathie weltweit einen viel größeren Stellenwert bekommen sollte. Wie gut, dass es junge Menschen wie Dich gibt, die sich dieser Aufgabe widmen.
Ich freue mich sehr, dass Du daran mitwirken wirst. Alles Liebe und Gute für Deinen zukünftigen Lebensweg.
Margaretha

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