Von Gott und von der Liebe – Ein Bloggespräch mit Rainer Schmidt

Mit wem lässt sich besser über Gott und die Welt reden als mit einem Pfarrer, noch dazu einem der nicht ganz so stocksteif und streng daherkommt. Kennengelernt habe ich Rainer Schmidt jedoch als paralympischen Tischtennisspieler und Autor mehrerer Bücher über seine eigene Geschichte und den Umgang mit Menschen mit (und ohne) Behinderung generell. Inzwischen ist er als Kabarettist, Moderator, Speaker und Dozent unterwegs.

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Hallo Rainer, ich freue mich sehr, dass Du die Einladung zu diesem Bloggespräch angenommen hast. 🙂 Schon lange wollte ich mal mit jemandem, der sich da auskennt, über Gott und Religion sprechen. 

Ich bin traditionell katholisch auf dem Land groß geworden (das aber nur, weil der evangelische Pfarrer meines Vaters sich geweigert hat, ihn mit einer Katholikin zu verheiraten. Für die statt dessen katholisch abzuhaltende Eheschließung meiner Eltern wurde meine Katholischwerdung dann schon vor der Zeugung zur Bedingung). Katholische Erziehung auf dem Land also: Mit Kinderchor, Jugendgruppe und allem. 

Leider habe ich dabei oft erleben müssen, dass gerade diejenigen, die das Christsein besonders vor sich hertrugen, diejenigen waren, die am wenigstens davon verstanden hatten. Sprich: Sonntags in der Kirche gesehen zu werden, war wichtiger, als tatsächliche Nächstenliebe zu praktizieren. Und je älter ich wurde, egal, wohin ich kam, umso mehr von dieser Bigotterie konnte ich beobachten. 

Kritische Fragen stellen soll man nicht, man soll einfach glauben, was der Herr Pfarrer/Bischof/Papst sagt, und fertig. Tut man das nicht, wird man als Außenseiter behandelt. Wenn das Religion sein soll, dann kann ich gern darauf verzichten. Zumal ich als weibliches Wesen mit dem patriarchalischen Weltbild, das heute noch immer von der Kirche vertreten wird, herzlich wenig anfangen kann. Und so bin ich dann schließlich auch aus der katholischen Kirche ausgetreten. 

Wie ich von Dir weiß, hast Du Religion ganz anders erlebt und bist schließlich auch Pfarrer geworden. Was hat Dich dazu gebracht und welche Erfahrungen hast Du dabei gemacht?

Hallo Annette, vielen Dank für die Einladung zum Bloggespräch.

Ja, ich habe Kirche und gläubige Menschen anders wahrgenommen.

Da war zuerst meine Mutter, die jeden Abend mit mir gebetet hat. Das waren meist vorgeformte Gebete und manchmal haben wir dem lieben Gott einfach unseren Tag erzählt. Ich bin also in dem Bewusstsein aufgewachsen, Gott begleitet mich und ist auf meiner Seite. 

Dann war da meine Schwester, die ein Bekehrungserlebnis in ihrer Jugend gehabt hat und meinte, das müsste ich auch haben. Nach diesem Gespräch habe ich zum ersten Mal Angst vor der Hölle gehabt und mich dann tatsächlich „bekehrt“. Die Motive meiner Schwester waren natürlich nicht, mir Angst zu machen, sondern mir etwas Gutes zu tun.

Ich bin dann auf mehrere Jugendfreizeiten gefahren. Da waren viele Evangelikale. Die wichtigsten Botschaften, die von ihnen bei mir angekommen sind: Gott liebt jeden Menschen, Gläubige Menschen kommen in den Himmel, ungläubige sind verloren. Du musst eine intensive Beziehung zu Gott haben, um gerettet zu werden. 

Mit zunehmendem Erwachsenwerden habe ich Schwierigkeiten mit diesen Botschaften bekommen. Was ist mit den Menschen, die nie von Jesus Christus gehört haben? Kann ein liebender Gott wirklich Menschen verloren gehen lassen? Wäre ich gläubig, wenn ich in einem islamischen Land aufgewachsen wäre? Also, kann ich etwas dafür, dass ich zu den “Ausgewählten” gehöre?

Alle diese Fragen haben mich letztlich ins Theologiestudium gebracht. Auch da habe ich viele sehr ernsthaft Glaubende getroffen, aber was Glauben überhaupt bedeutet, wurde da eben diskutiert. Das habe ich als sehr befreiend erlebt, weil kritisch gedacht und geforscht wurde. Und langsam haben sich meine Bilder von Gott und Glauben verändert.

Du beschreibst die Menschen, denen du begegnet bist, als Scheinheilige, als Bigotte. Aber deine religiösen Fragen (deinen Glauben?) hast du durch die Begegnungen nicht verloren, richtig!? Was lässt dich weiterhin glauben?  

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Ich denke, wenn man in der Tradition einer bestimmten Religion erzogen wurde, dann prägt das, ob man will oder nicht. Es hilft ja auch, um andere Dinge, z.B. Kunstgeschichte zu verstehen. Das Problem hab ich mit den Vermittlungs-Institutionen, nicht mit den grundlegenden Prinzipien. Letztendlich geht es doch immer um Gemeinschaft und Liebe – oder um das Fehlen derselben. 

Nach Abstechern zur protestantischen Kirche und nach kurzer Beschäftigung mit dem Buddhismus landete ich im Soziologiestudium wieder beim Thema Religion und lernte für deren Entstehung folgenden (hier nur ganz kurz gefassten) Erklärungsansatz kennen: 

Menschen sind soziale Wesen, leben also in Gruppen. Diese Gruppen funktionieren nur dann, wenn sie Regeln haben. Die Regeln wiederum werden nur eingehalten, wenn sie über etwas legitimiert werden, das größer ist als der Einzelne, und wenn es Mitglieder dieser Gruppe gibt, die die Einhaltung der Regeln überwachen sowie Verstöße sanktionieren. Damit das Ganze funktionieren kann, wird dieses “Größere” mit einem Tabu belegt. Nur bestimmte Mitglieder der Gruppe (Priester, Könige etc.) haben Zugang dazu. Der Begriff für dieses Größere wandelte sich mit der Zeit von Naturphänomenen hin zum heutigen Gottesbegriff. 

Religion kann also gesehen werden als Regelwerk der Gemeinschaft (Gruppe), für die der Gottesbegriff eine Art Metapher ist. Wie die jeweilige Religion praktiziert wird, hängt u.a. von deren Geschichte und z.B. auch von den klimatischen Gegebenheiten ab, in der die jeweilige Gemeinschaft lebt. 

Diese Zusammenhänge hatte ich mir noch nie klargemacht. Aber damit konnte ich mich zum ersten Mal wirklich identifizieren. Viel mehr als mit dem alten Mann auf der Wolke und all den anderen Geschichten in der Bibel, die für eine frühere Gesellschaftsform geschrieben worden waren. Plötzlich machte das Sinn: Gott ist “mitten unter uns”, weil er die Gemeinschaft ist. Und in einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaft wird er folgerichtig als alter Vater dargestellt werden, weil das die Autorität ist, die die Menschen zu akzeptieren gewohnt sind. 

In einer modernen Gesellschaft heute wirkt das alles aber reichlich befremdlich. Und so kann ich den alten Metaphern von einem Gottvater etc. höchstens noch in historischem Kontext folgen. Glauben kann ich daran aber nicht. 

Ich glaube an (Nächsten)Liebe und dass alle Menschen gleich sind. Keiner ist besser, nur weil er was bestimmtes glaubt, mehr Geld hat, oder in einem bestimmten Teil der Welt wohnt. 

Wie hat sich Dein Bild von Religion und Glauben im Studium entwickelt? Und wie machst Du heute den Menschen verständlich, worum es geht? 

Zuerst ein Gedanke noch zu deiner Soziologieerklärung. Ja, Menschen leben immer mit anderen Menschen, brauchen Regeln und diese müssen manchmal durchgesetzt werden. Dafür braucht es aber meines Erachtens kein Tabu, kein höheres Wesen und keine Religion. Auch Menschen ohne Religion geben sich Regeln und sanktionieren einander bei Verstößen. Unser Grundgesetz braucht nicht unbedingt eine Legitimation durch Gott oder Priester. Jede Familie gibt sich Regeln und jede Schule auch. 

Wie mache ich Menschen verständlich mache, worum es geht? 

Ich bin tatsächlich nicht mehr der „missionarische“ Typ, der Menschen überzeugen möchte. Schon gar nicht gegen deren Willen. Aber ich bekenne und erzähle frei, was Gott und Glaube für mich bedeutet. 

Für mich ist Gott nicht der alte Mann auf der Wolke und irgendwie auch nie gewesen. Vielleicht musste ich mich deswegen nicht gegen diese Gottes-Vorstellung wehren. 

Es gibt einige wichtige Geschichten, die meine Vorstellungen von Gott prägen:

1)    Im 1. Testament (Altes Testament hört sich nach veraltet an) hat Gott einen Namen: JHWH. Der wird von Jüd*innen nicht ausgesprochen, weil er zu heilig ist. Was der Name JHWH bedeutet, wird nur an einer biblischen Stelle explizit erklärt, nämlich 2. Mose 3, Verse 13+14. Das ist die Geschichte, wo Gott den Mose zum Pharao von Ägypten schickt, um sein Volk aus der Gefangenschaft zu führen. Da fragt Mose Gott nach seinem Namen.
Ich führe mal 3 Übersetzungen an:

  • Luther-Übersetzung: „Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt! und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? V14 Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.“
  • Moses Mendelssohn, (Hebräische Bibel im 18. Jahrhundert: „Gott sprach zu Mosche: »Ich bin das Wesen, welches ewig ist.« Er sprach weiter: »So sollst Du zu den Kindern Jisraels sprechen: ›Das ewige Wesen, das sich nennt: ‚Ich bin ewig‘ hat mich zu euch gesandt.“
  • Martin Buber: „Ich werde dasein, als der ich dasein werde … So sollst du zu den Söhnen Jissraels sprechen: Ich bin da schickt mich zu euch.“

Tatsächlich wurde der Gottesname aber ganz oft mit Herr übersetzt. Und vermutlich sind unsere Vorstellungen von einem Herrscher prägend für unsere Gottesbilder. Und Herrscher heißt oft gewalttätige Herrscher oder unbarmherziger Herrscher. Diese Gottesbilder mag ich auch nicht.

2)    Einer meiner Lieblingsnamen für Gott ist Racham: sich erbarmen. rächäm ist Mutterschoß, die Gebärmutter. Gott als Mutter, die freundlich und zugewandt den Menschen begleitet.

3)    Jesus wird übrigens im Matthäusevangelium Immanuel genannt: Gott ist/sei mit uns.

4)    Und wenn du mich fragst, was die wichtigste Eigenschaft Gottes ist, beziehungsweise was Gott wirklich ausmacht, so bringt das für mich 1. Joh. 4 auf den Punkt: Vers 8: „Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.“ Und Vers 16: Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Ich schätze, wir sind beim Thema Gottesvorstellungen gar nicht so weit auseinander. 

Für mich ist Gott auch die Begeisterung, die Verbindung, die Nächstenliebe die Menschen zusammenhält. Aber Gott ist darüber hinaus auch noch ein Gegenüber. Also ein Wesen, was fordert, zurechtweist, den Weg zeigt. Deswegen bete ich. Ich setze mich also mit Gott in Verbindung. 

Wie ist das bei dir? Betest du und wenn ja, zu wem und benutzt du eine Anrede?

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Wenn man Beten als gezielt Energie ins Universum schicken fassen kann, dann ja. Aber nicht mit Anrede. Das ist es ja genau, was sich mir nicht erschließt: Warum sollte ich das personifizieren? Und wie bekommst Du eine Personifizierung mit dem zusammen, was Du gerade beschrieben hast? 

Ich sehe das mehr aus naturwissenschaftlicher Sicht: Alles ist Energie und die kann nicht verloren gehen. Solange ich als Mensch lebe, ist eine bestimmte Portion dieser Energie mit meinem materiellen Körper verbunden. Stirbt der Körper, geht nur das Gefäß verloren. Die Energie, die damit verbunden war, geht wieder auf im großen Ganzen. Wo dieses Ganze wiederum herkommt, stelle ich insofern nicht in Frage, als ich denke, dass unser Verstand dafür zu begrenzt ist. Du würdest das vermutlich als Glauben bezeichnen. Ich glaube also, dass im großen Ganzen unsere Kategorien von Zeit und Raum und all dem, was damit verbunden ist, einfach nicht von Belang sind, sondern alles mit allem eins ist.

So hatte es mir übrigens auch ein Freund erzählt, der über Monate an der Schwelle des Todes gewesen war. Er sagte mir, dass alles, was bleibt, und das auf ewig, die Liebe ist. Dieses Erlebnis könnte man vermutlich als meine “Erweckung” ansehen. 

Die Bibel sehe ich als historisch gewachsenes Dokument. Ich kann mir gut vorstellen, dass es die darin genannten Personen zumindest teilweise wirklich gegeben hat und dass sie außergewöhnliche Dinge getan oder erlebt haben, die zuerst mündlich weiter getragen und schließlich schriftlich festgehalten wurden. Diese Geschichten sollten wichtige Prinzipien der Gemeinschaft leichter verständlich machen, in der das alles tradiert wurde. In den Übersetzungen ging dann einiges verloren oder durcheinander (z.B. Jungfrauen-Geburt statt Geburt des ersten Kindes einer jungen Frau). Deswegen finde ich es schön, dass Du mehrere Beispiele für Deinen Gottesbegriff genannt hast. Mir gefällt am besten das Bild des Mutterschoßes. 

Es geht für mich in der Bibel also um Bilder, Gleichnisse, um (positive wie negative) Beispiele für Situationen des menschlichen Lebens – im historischen Kontext. Ich kann das aber nicht wörtlich nehmen und irgendeinem übernatürlichen Wesen (oder mehreren) zuordnen, die noch dazu personifiziert werden. 

Religion hat es meines Erachtens versäumt, sich mit den Menschen weiterzuentwickeln. Digital gesprochen: Es wären viele über die Zeit laufende kleine begleitende Aktualisierungen nötig gewesen. Jetzt ein großes Update auf die für heute passende Konfiguration durchzuführen, würde vermutlich den ganzen Server abstürzen lassen. 

Wie zeitgemäß ist für Dich Religion und der Umgang in der Welt damit? Und wie könnte man die Traditionalisten mit denen, die sich eine Modernisierung wünschen, zusammenbringen? Ich wünschte die Menschheit würde endlich aufhören, sich darüber zu streiten, welcher Gott der einzig Wahre sein soll, statt zu erkennen, dass sie doch letztlich alle dasselbe meinen und wir nur zusammen und in Verbundenheit weiterkommen können.

Du sprichst viele Themen an und ich versuche, das für mich zu sortieren.

Am einfachsten fällt es mir beim Bibelverständnis. Ein paar Fakten zur Entstehung der Bibel: 

Die Bibel ist eine Sammlung von sehr unterschiedlichen Texten aus sehr unterschiedlichen Zeiten. Viele Geschichten wurden über Generationen hinweg mündlich weitergegeben. Aufgeschrieben wurden sie vor allem, um das Vergessen zu verhindern. Ca 1000 Jahre wurden die Texte dann verändert und zu Textsammlungen zusammengefasst. Wer heute eine hebräische oder griechische Bibel aufschlägt, der sieht dort einen „Apparat“, wo aufgeführt ist, welche anderen Texte es gibt und wie diese sich vom biblischen Text unterscheiden. 

Im Jahr 90 n. Chr. wurde dann auf der Synode von Jabne das erste Testament abschließend festgelegt, im Jahr 328 n. Chr. auf der Synode von Rom das neue Testament. Grund für diese Festlegung war vor allem, dass es sehr viele sehr unterschiedliche „Lehren“ gab. Die Kirche wollte also wahre Lehre von Irrlehre unterscheiden. Dieses Anliegen ist heute aktueller denn je. Man denke nur an Trumps alternative Fakten, die in Wirklichkeit Lügen sind. 

Die Synoden waren übrigens wie ein Parlament. Wenn man so will, hat die Mehrheit der Gläubigen festgelegt, was christlicher Glaube ist. Die Bibel wurde aber nicht verstanden als Lehrbuch über Gott, sondern als Zeugnis von Gott. Dass das Anliegen der Kirche, ein für allemal festzulegen, was christlicher Glaube ist, nicht wirklich geglückt ist, sieht man an den zahlreichen Kirchenspaltungen (Römische Kirche – orthodoxe Kirche; katholische – evangelische Kirche und viele andere). Übrigens finden sich in einer evangelischen Bibel keine Apokryphen (Spätschriften des AT).

Und selbst Martin Luther hat angeregt, die Bibel zu verändern. Da er die Bibel beinahe auswendig kannte, fielen ihm viele Unterschiede und Widersprüche auf. Zwar wollte er immer die ganze Bibel interpretieren, aber er sprach von einer Mitte der Schrift, nämlich „was Christum treibet“, also was der Verkündigung Christi entspricht. Deswegen kann er den biblischen Kanon scharf kritisieren. Den Brief des Jakobus nennt er „strohernen Epistel“ und er empfindet eine Abneigung gegen die Johannesapokalypse (Offenbarung). Luther, der ja die hebräische und griechische Bibel übersetzt hat, geht es nicht um eine allgemein verbindliche und zeitlos gültige Auslegung, sondern um eine aktuelle Zueignung des lebendigen Wortes Gottes. 

Insofern stimme ich dir absolut zu und widerspreche allen, die in der Bibel das diktierte unveränderliche eine Wort Gottes sehen (Theologen sprechen von Verbalinspiration). Kleine Anmerkung des Humoristen: meist sind es Menschen, die weder Hebräisch noch Griechisch sprechen und glauben, die deutsche oder englische Übersetzung des Textes wäre wörtlich von Gott diktiert. 🙂 

Abschließend würde ich mein Verständnis von der Bibel mit dem Grundgesetz vergleichen: Es wurde einmal festgelegt und seitdem wird es von obersten Gerichten interpretiert. Allerdings ist auch eine Veränderung des Grundgesetzes nicht ausgeschlossen, aber es braucht eben eine sehr große Mehrheit (zwei Drittel). 

Ist Gott eine Person?

„Gott ist der Ewige, der sich stets verändert“. So würde ich mein Gottesbild zusammenfassen. 

Im ersten Testament findet sich häufig die Formulierung „und Gott bereute…“. Gott möchte das Beste für den Menschen (das bleibt immer gleich), aber Gott handelt sehr unterschiedlich: Von Zerstörung (siehe Sintflut und Sodom und Gomorra) bis zur Rettung (der Rest 🙂 ). 

Dietrich Bonhoeffer hat mal formuliert: Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht. (Widerstand und Ergebung, DBW 8, S.514f). Ich habe oben schon vom Gottesnamen gesprochen („Ich werde sein, der ich sein werde.“). Gott selbst nennt sich also nicht irgendwie (”Ich bin Gott ABC”) und “ist” damit Gott ABC, sondern benennt sich als Sein und Werden. 

Zwei große Unterschiede sehe ich aber zwischen uns: 

Erstens: Gott ist für mich auf keinen Fall die Energie des Universums. Dem Universum ist es nämlich scheißegal wie es mir geht und was hier passiert. Wenn Gott die Liebe ist, dann ist das Universum die unendliche Gleichgültigkeit. Warum sollte ich also meine Energie ins All schicken? Sie wäre weg und käme nicht zurück.

Zweitens: Ich mache keinen Unterschied zwischen Energie (Seele?) und Körper. Ich bin eine Person mit Gedanken, Körper, Gefühlen und vielem mehr. Ich könnte das Identität nennen. Und all das hat bei Gott Bedeutung. Gerade als Mensch mit Behinderung möchte ich darauf bestehen, dass Gott auch den behinderten Körper liebt. Gott ist für mich nicht zuerst ein Gott, der sich um das Jenseits kümmert, sondern der sich um das Diesseits kümmert. Wenn ich von Gott als heiligem Geist rede, meine ich damit, dass Gott da wirksam wird, wo die Liebe über den Hass siegt.

Wo Menschen begeistert sind von Vergebung und Akzeptanz, von Nächstenliebe statt Hass. Und wo immer das geschieht, ist Gott ganz real, aber eben nicht wie ein Mensch zu sehen oder zu begreifen. Die Menschen, die in Belarus friedlich auf die Straße gehen, die schwarzen Männer der Geheimpolizei umarmen, statt sich zu bewaffnen, die leben diesen Geist. Für mich sind das wahrhaft Glaubende. Sie lassen sich nicht von Gewalt und Angst bestimmen, sondern sie glauben, hoffen und lieben. Egal, ob sie sich Christen nennen.

Dein Wunsch, es würde nicht mehr darum gestritten, welcher Gott der Richtige ist, ist auch meiner. Die Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter ist für mich das Evangelium im Evangelium. Da fällt ein Mann unter die Räuber und etliche sehen den Geschundenen und helfen nicht. Darunter auch ein Priester und ein Gesetzeslehrer (Levit). Es hilft schließlich ein Samariter (nicht anerkannte andere jüdische Glaubensgemeinschaft). Priester, Livid und Samariter hätten lange über den richtigen Glauben diskutieren können. Darum geht es aber nicht. Es geht darum, Gott und den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Das ist schließlich das höchste Gebot und Auftrag aller glaubenden Menschen. Und in diesem Punkt sind sich seltsamerweise die Religionen ziemlich einig. 

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Erich Kästner). 

Womöglich wird zu viel um den wahren Gott gestritten, weil das leichter ist, als tätige Nächstenliebe. Da muss ich mein Haus verlassen, meine Sicherheit. Da muss ich mich nicht nur um mich kümmern, sondern um Fremde. 

Jetzt interessiert mich zuerst, was du von meinen Zeilen hältst. Und als zweites möchte ich dich fragen, was glaubst du, warum Menschen sich von Kirche abwenden?

Weil die Gottesvorstellung in der Kirche veraltet sind?  Weil sich die Kirche zu sehr um sich selbst kümmert? Oder weil Kirche einfach keine Bedeutung mehr für die Gesellschaft hat? Oder ist es etwas ganz anderes?

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Toll, dass Du so ausführlich auf meine Punkte eingehst und mit Quellenangaben belegst. Du kennst Dich als studierter Theologe natürlich detaillierter damit aus. Das meiste bestätigt ja, was ich bereits sagte.

Nur eine Sache hast Du bei mir falsch gelesen: Ich sagte “Energie INS Universum schicken”, nicht “ans”. Das Universum ist für mich genauso Teil des großen Ganzen (der Gesamtenergie) wie ich (temporär in Materie abgegrenzter kleiner Teil dieser Energie) es bin. 

Das mag unbeholfen ausgedrückt sein. Aber eine besseren Begriff als “großes Ganzes” oder “Gesamtenergie” hab ich nicht. “Gott” kann ich es eben nicht nennen, da dieser Begriff für mich, wie weiter oben dargestellt, als personifizierend belegt ist. Deine Antworten darauf, egal wieviele Stellen Du dazu zitierst ;-), widersprechen dieser personalisierten Sicht für mich nicht, solange Du Gott als handelnde, fühlende Entität darstellst (Gott “möchte”, “liebt”, “bereut” etc.). Wenn er nicht personifiziert gesehen werden soll, wie kann er dann agieren?

Und ob diese Entität dann ewig ist, ist ja wieder eine andere Sache. Ich sehe das, was ich behelfsmäßig als “das große Ganze“ oder als “Gesamtenergie” bezeichne, wie oben schon gesagt, als unabhängig von Zeit und Raum an. Es/sie existiert. Und der Zustand, in dem es/sie existiert, kann für unser Verständnis als Liebe beschrieben werden. 

Das ist es jedenfalls, was ich erfahre, wenn ich meditiere – was ich tatsächlich eher tue als zu beten. Dabei versuche ich, meine Verbindung mit dieser Gesamtenergie bewusst zu spüren und in ihr aufzugehen. Gelingt dies, sind Raum und Zeit keine Kategorie mehr und alles ist Liebe.

Das funktioniert bei mir übrigens am besten mit Musik. Beim Meditieren mit instrumentaler Musik und Tönen, oder beim Singen, wenn ich ganz und gar darin aufgehen kann. Das ist auch das Einzige, was mich in Sachen Kirche noch berührt: das Singen und die Musik (und in manchen Fällen die Kunst und Architektur). 

Mit Deinen Ausführungen in Sachen Nächstenliebe und Fehlen derselben gehe ich völlig d’accord. Da ist ja nicht nur die Samariter-Geschichte aktueller denn je. Man denke nur an den Umgang mit Geflüchteten. Schlimm finde ich auch das entmündigende Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderung, die nur als Wohlfahrtsempfänger behandelt werden. Echte Gemeinschaft geht anders…  

Und damit wären wir bei Deiner Frage, warum sich die Leute meiner Ansicht nach von der Kirche abwenden: Weil seitens der Kirche (aber auch vieler Mitglieder) oft nicht praktiziert wird, was gepredigt wird. Gerade in Sachen Nächstenliebe und Gemeinschaft. Und weil der Bezug zur modernen Wirklichkeit der Menschen in vielen Teilen verloren gegangen ist, vor allem, was Gleichberechtigung, Lebenssituationen und Sexualmoral betrifft. 

Die meisten Leute, die ich kenne, bleiben nur aus Bequemlichkeit in der Kirche. Eigentlich ist es ihnen egal, aber naja, man kann da so schöne Zeremonien zur Hochzeit etc. mitnehmen. Oder man bleibt, weil man’s halt schon immer so gemacht hat und die Eltern nicht damit zurechtkämen, wenn man austritt. Die wenigen, die ich kenne, die Religion noch richtig wichtig nehmen, sind dann oft auch recht kategorisch. Du bist da echt eine Ausnahme – daher auch das Bloggespräch. 😉

Wir könnten uns sicher noch seitenweise weiter über diesen Themenbereich austauschen, aber das würde den Rahmen dieses Formats hier sprengen. 😉 Vielen lieben Dank an alle, die bis hierher mitgelesen haben, und nochmal Danke an Dich, Rainer, dass Du Dir die Zeit dafür genommen hast! Gerne jederzeit wieder! 🙂

Möchtest Du diesen Bloggespräch noch etwas hinzufügen? Hiermit überlasse ich Dir das Schlusswort: 

Als Pfarrer neige ich zu langen Ausführungen und manchmal sogar zu zu langen Ausführungen. 😉 Mein Schlusswort ist aber kurz:

Ich freue mich über unsere Gemeinsamkeiten (Liebe als zentrale Kraft fürs Leben und Nächstenliebe als zentrale Aufgabe). Beim Glauben geht es um etwas Wohltuendes, Befreiendes. Umso mehr bedaure ich, wie oft die Kirchen mehr Hüter der Moral (also Moralapostel) als Garant für Freiheit und Vergebung sind.

Und noch mehr freue ich mich, dass wir unsere Unterschiede (Gott als handelndes Subjekt / Gott als umfassende Energie) gut akzeptieren können. Es ging in unserem Gespräch nicht darum, wer Recht hat, sondern es ging darum, einander neugierig zuzuhören. 

Vielen Dank dafür! 

Über meinen Gesprächspartner

Rainer Schmidt (Foto von Johannes Hahn)

Rainer Schmidt ist Evangelischer Pfarrer, freiberuflicher Kabarettist und Moderator, mehrfacher Patenonkel, Ohnhänder und ehemaliger Paralympionike (Tischtennis). >>> schmidt-rainer.com

Foto von Rainer Schmidt: Johannes Hahn
Cartoon von Annette: tutticonfetti


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