Fair und stilvoll auch für Plussize-Mode – Ein Bloggespräch mit Susanne Ackstaller

Susanne Ackstaller, bekannt als texterella, hat mich vor einiger Zeit über Mode interviewt und wir haben uns über besondere Bedürfnisse bei Kleidung aufgrund nicht standardkonformer Maße unterhalten. Nachdem wir jetzt wieder auf dieses Thema zu sprechen kamen, habe ich sie zum Bloggespräch eingeladen.

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Vielen Dank, dass Du meine Gesprächseinladung angenommen hast, liebe Susanne. Ich bin sicher, wir beide sind nicht die einzigen, die sich fragen, warum große Größen oft nur in scheußlichen Mustern und Polyester angeboten werden. 

Ich ertrage keine Kunstfasern auf der Haut und möchte außerdem die Umwelt schonen. Aufgrund meiner Oberweite und weil ich größer als der Durchschnitt bin, ist es wirklich schwer, passende Kleidung in Naturmaterialien zu finden. Die meisten Anbieter hören bei XL auf. Warum ist das so? Was glaubst Du? 

Susanne Ackstaller

Liebe Annette, ich. Habe. Keine. Ahnung! Tatsächlich ist das für mich auch wirtschaftlich ein großes Rätsel, denn bekanntermaßen ist die deutsche Durchschnittsgröße 44. Das heißt, auch nach oben – also ab 44 aufwärts – gibt es noch einen ziemlich großen Markt. Warum die Hersteller, Designer und Händler diesen Markt so vernachlässigen verstehe ich nicht. Machen die keine Marktanalysen? Und im Bereich faire und nachhaltige Mode sieht es noch düsterer aus. Als gäbe es uns Frauen mit “mehr Figur” einfach nicht! Ich nehme es mittlerweile fast schon persönlich, dass man uns Dicke nur in billiges Polyester stecken will. Strategien und Lösungen habe ich noch keine entwickelt. Wie geht es Dir damit?

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Zunächst nenne ich uns nicht dick, nur weil wir keine Hungermodellmaße haben. Ich bin kurvig und damit eben eine richtige Frau. Früher dachte ich, ich müsste meine Kurven verstecken. Dann gestand mir eine Bekannte mit size zero wie sehr sie es genießt, wenn ich sie umarme. Ich erinnere sie an eine dieser Venus-Statuetten aus der Frühgeschichte, sagte sie. Das erinnerte mich an den Film „Embrace“. Darin wurden Frauen über ihr Selbstbild befragt und alle, wirklich alle fanden sich zu dick, zu hässlich, zu… irgendwas. Nur eine schwerbehinderte Frau – von der man das am wenigsten erwartet hätte – freute sich über die Frage und antwortete: „Ich bin weich!“ 

Ich denke, solange große Größen negativ besetzt sind, gibt es wenig Anreiz, dass sich da was tut. Zum Glück scheint sich da langsam was zu bewegen. Ich versuche, meinen Teil dazu beizutragen. 

Aus ökologischer Sicht wäre es außerdem generell vonnöten mehr nachhaltige Mode zu produzieren. Nur wie macht man das den Bekleidungsherstellern verständlich? 

Susanne Ackstaller

Ich verwende den Ausdruck “dick” mittlerweile ganz bewusst. Weil alle andere Benennungen irgendwie “beschönigend” sind: curvy, kurvig, üppig, etc. Warum müssen wir unsere Körperform beschönigen? Sie ist gut, so wie sie ist. Wir dürfen uns “dick” nennen, weil auch dick schön ist. So lang wir den Ausdruck “dick” selber negativ besetzen, müssen wir uns nicht wundern, wenn es andere tun. 

Zurück zum Thema: Ich denke, im Plussize-Bereich dauert einfach alles doppelt so lange. Wie lange hat es gedauert, bis den “Normalgrößen” nachhaltige Mode angeboten wurde, die nicht aussieht wie ein Kartoffelsack? Da geht es ja auch gerade erst los, dass auch fair und öko schick sein kann. In den großen Größen müssen wir uns bestimmt noch ein paar Jährchen gedulden. Aber auch hier sehe ich Licht am Horizont: Ich habe in den letzten Wochen tatsächlich gleich drei Fair-Fashion-Brands im Plussize-Bereich kennengelernt. Mal sehen, was daraus wird.

Frage ist halt, wie behilft man sich, bis es endlich soweit ist. Hast Du eine Idee?

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Welche Brands sind das denn, die Du entdeckt hast? Du darfst sie gern nennen und verlinken. 🙂 Ich selbst habe vor einer Weile Deerberg und Gudrun Sjöden entdeckt, deren skandinavisch bunter Stil mir sehr gefällt. Da gibt es immerhin manche Sachen bis XXL. Ansonsten trage ich halt Jeans, wenn es keine passenden Stoffhosen in Baumwolle gibt, oder Leggins mit Rock drüber. Ich hätte aber schon gern mal wieder nen Hosenanzug, Kostüm oder wenigstens einen Blazer. Vermutlich muss ich dafür aber vorerst zur Schneiderin, wenn ich was Stilvolles und kein Polyester will. 

Mein Mann hat als Rollstuhlfahrer übrigens ähnliche Probleme. Dabei gibt es auch da einen großen Markt. Hat es am Ende weniger mit dem Markt als mit dem Image zu tun? 

Susanne Ackstaller

Ich habe kürzlich das türkisches Label Inan Isik inanisik.com entdeckt, das wirklich tolle Sachen macht und nachhaltig produziert. Und ich mag BonaBuni bonabuni.com, die in Indien fertigen und ebenfalls auf Nachhaltigkeit und Fairness achten – und ihre Kleidung auch in großen Größen fertigen. Und dann ist da noch das ganz junge deutsche Label Make Monday Sunday makemondaysunday.com, die lokal und sozial produzieren. Aber tatsächlich muss man sich diese Labels auch erstmal leisten können! Günstig – auf den ersten Blick! Wenn man die Sachen lange trägt, amortisiert sich das natürlich! – ist da erstmal nichts. 

Zu deiner Frage: Ja, ich denke auch, dass wir als “Randgruppe” (was natürlich Unsinn ist!) für Modeunternehmen nicht “sexy” genug sind. Und da sind wir meines Erachtens wieder beim Thema Vielfalt: Gesellschaft und Wirtschaft müssen einfach langsam lernen, dass es nicht nur die eine Schönheit gibt, sondern unterschiedliche. Wie lange das noch dauert – ich weiß es nicht. Ich sehe aber durchaus erste Ansätze. Geht es Dir auch so?

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Ja, die gibt es z.B. in der Mediendarstellung. Aber immer noch werden große Größen von „normalen“ Größen getrennt angeboten. Die Magergrößen hingegen nicht. Kleidung in großen Größen kostet oft auch mehr, die in kleinen aber nicht weniger. Klar braucht eine Größe 52 mehr Material als eine Größe 34, aber wer legt fest, was die Standardgröße ist? Und müssten dann nicht alle preislich entsprechend abweichen, also nach oben und unten? Oder es kosten eben alle gleich viel. 

Vielleicht wird es in Zukunft auch ganz anders werden? Vielleicht wird Kleidung irgendwann nur noch nach individuellen Maßen 3D-gedruckt? Dann gibt es gar keine standardisierten Größen mehr, sondern man kauft nur noch Entwürfe und Materialien, die man sich dann individuell anpassen lässt. Man könnte sogar seine eigene Mode entwerfen und umsetzen. Das wäre doch was! Wenn wir Glück haben, dauert das auch gar nicht mehr so lange. Wie fändest Du diese Lösung?

Susanne Ackstaller

Das fände ich wirklich klasse! Kleidung, die maßgefertigt wird – aber nicht nach Maßschneiderei kostet, sondern auch für kleinere Geldbeutel erschwinglich ist. Ehrlich gesagt, das sollte doch machbar sein? Es gibt ja auch alle möglichen anderen Sache, die personalisiert hergestellt werden. Warum ist da eigentlich noch niemand draufgekommen? Oder gibt es das vielleicht schon? 

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Nicht, dass ich wüsste. Aber wenn man den Prognosen in Sachen 3D-Druck glauben darf, wird es vielleicht nicht mehr lange dauern. Dann könnte man bestehende Entwürfe von Modelabels nehmen und direkt für sich anpassen. Damit würden unfaire Herstellungsbedingungen entfallen, das Material könnte man selbst bestimmen und man könnte individuelle Ergänzungen anbringen. Dann bekämen meine Oberteile alle ein Bindeband hinten, Hosen könnten immer länger gemacht werden und für mich nicht passende Schnittdetails abgeändert werden. Ich hätte weiter nur Naturmaterialien, aber vielleicht mal ein anderes als vorgeschlagen und vor allem selbst gewählte Farben (v.a. klare Blautöne) und Muster. Wie würde Deine Wunschmode aussehen?

Susanne Ackstaller

Meine Wunschmode … hm. Weiblich, aber ohne Gerüsche. Bequem, aber ohne nach Jogginghose auszusehen. Extravagant, aber dennoch tragbar und alltagstauglich. Und vor allem: Gute Materialien, kein Polyester, fair produziert. Alles eigentlich keine Raketenwissenschaft. Ich weiß wirklich nicht, warum sich die Mode in großen Größen so schwer damit tut. Aber vielleicht liegt es auch mit an den Konsumenten, die Mode möglichst billig haben wollen. Für wenig Geld lassen sich diese Wünsche natürlich nicht erfüllen! Aber da ist dann halt so wie mit Bio-Fleisch: Lieber weniger, aber dafür gut. Ich denke, auch bei der Mode muss die Gesellschaft umdenken: Wir brauchen nicht ständig neue Kleidung. Aber wenn, dann sollte sie den oben genannten Kriterien entsprechen. 

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Das sehe ich genauso. Und was das Umdenken angeht, sollte man eben bei sich selbst anfangen. Wenn wir es entsprechend vorleben, kann es sich auch verbreiten. Danke Dir für das schöne Gespräch, liebe Susanne. 🙂

Über meine Gesprächspartnerin

Susanne Ackstaller

Susanne Ackstaller (54) ist Texterin, Kolumnistin und Bloggerin. Auf texterella.de schreibt sie seit über 10 Jahren über (Plussize-)Mode und Lifestyle, aber auch über Politik, Gesellschaft und Kultur. Ihr Blog gehört seit Jahren zu den erfolgreichsten Plussize- und Ü40-Blogs in Deutschland.

Foto von Susanne: Martina Klein, Feldafing
Avatar von Annette: tutticonfetti


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