Empathie in der Kommunikation – Ein Bloggespräch mit Gabriela Bonin

Gabriela und ich folgen einander schon lange online. Daher habe ich sie gefragt, ob sie nicht Lust auf ein Bloggespräch hätte und sie war sofort dabei. Das von ihr vorgeschlagene Thema liegt uns beiden sehr am Herzen, also legen wir los: 

Annette Schwindt

Toll, dass Du mitmachst, liebe Gabriela! 🙂Wir haben online schon immer ein sehr herzliches Verhältnis gehabt, auch wenn wir uns nicht regelmäßig ausgetauscht haben. So etwas funktioniert nur, wenn beide Seiten in der Lage sind, sich auf den anderen einzustellen, zuzuhören und aufeinander einzugehen. Das fasst gleich mehrere Grundsätze zusammen, die ich bei meiner Tätigkeit immer wieder zu vermitteln versuche:

  • Digitale Kommunikation ist das, was wir daraus machen
  • Dabei geht es um Menschen und Gespräche

Warum hast Du dieses Thema vorgeschlagen?

Sich dem Leser zuwenden

Gabriela Bonin

Liebe Annette, Danke für Deine Anfrage. Ich freue mich darauf, weil ich bei jedem Gespräch, bei jeder Form der Kommunikation, eine Brücke vor Augen habe: Man geht von beiden Seiten her aufeinander zu. Man betritt gemeinsam einem mentalen Raum. 

Oft aber vermisse ich diesen Brückenschlag in der Kommunikation. Wenn ich etwa lese, wie uns Behörden, Politiker und Politikerinnen derzeit in der Corona-Pandemie ansprechen, dann vermisse ich die Empathie. Die betreiben geradezu ein Social Distancing in der Kommunikation und lassen die Bevölkerung mit ihren Fragen, Sorgen und Ängsten allein. 

Vor vielen Jahren habe ich beim Googeln einen Text von Dir entdeckt: Es war Deine erste Facebook-Anleitung. Ich fand darin Antwort auf meine Fragen. Ich hatte Aha-Erlebnisse und war begeistert. Warum? Weil Du mich und tausende (!) weitere Leserinnen und Leser an der Hand genommen hast. Du hast verständlich informiert und den Ton getroffen. Dabei kamst Du mir in Deinem Text so nahe, dass ich Dir gleich vertraute. So funktioniert Empathie in der Kommunikation: Der oder die Schreibende ist dem Publikum spürbar zugewandt und versteht, was es braucht. 

Es gilt also, dass wir in der Kommunikation Inhalte mit-teilen. «Sharing is caring», heisst es so schön im Englischen. Den Schreibenden, die ich als Textcoach begleite, rate ich jeweils, dass sie sich innerlich auf ihre Leserschaft ausrichten sollen. Weg vom ich, hin zum du. Ich ermutige sie dazu, dieses Abenteuer beherzt anzugehen.

Bei Dir nehme ich eine ähnliche Grundhaltung wahr. Du kommunizierst mit Herz und Verstand, schlägst Brücken ohne Ende. Hat sich das von sich aus so ergeben? Oder hast Du diese Empathie bewusst aufgebaut? Brauchst Du Mut dazu?

Einfach Kommunizieren

Annette Schwindt

Nein, das ist nicht bewusst passiert. So wie Du haben schon einige angemerkt, dass ich eine besondere Form des Kommunizierens hätte. Irgendwann habe ich diese Rückmeldungen auf die Formel „Einfach Kommunizieren“ zusammengefasst. Damit ist zweierlei gemeint:

  • Einfach Kommunizieren = sich möglichst verständlich auszudrücken. Raus aus dem eigenen Kopf und rein in den Kopf dessen, dem ich etwas mitteilen möchte.
  • Einfach Kommunizieren = wirklich zu kommunizieren, also Gespräche zu führen. Echte, gleichberechtigte Dialoge von Mensch zu Mensch.

Ich bin eben neugierig auf andere Menschen und deren Erfahrungen. Ich möchte gern davon lernen, meinen Horizont erweitern. So kam auch diese Reihe hier zustande. 

Mir selbst fällt das gar nicht als besonders auf. Daher brauche ich auch keinen besonderen Mut dazu. Ich kann nur so. Mein Gehirn ist da wohl anders verdrahtet als bei anderen. Ich denke in Bildern und schreibe das dann auf. Außerdem habe ich durch mein sprachwissenschaftliches Studium und bei meiner journalistischen Ausbildung gelernt, Informationen sinnvoll zu strukturieren und nach Relevanz zu priorisieren. 

Meiner Erfahrung nach nutzen solche abstrakten Erklärungen den meisten Menschen aber nicht viel. Sie brauchen konkrete Beispiele um es zu verstehen. Wie bringst Du anderen näher, besser zu kommunizieren? Das Bild von der Brücke finde ich sehr passend dafür. Wie bist Du darauf gekommen?

Eine Brücke bauen

Gabriela Bonin

In der Kommunikation bewegen sich beide Seiten aufeinander zu. Auch die Lesenden kommen auf uns Schreibenden zu. Sie leisten einen kognitiven Aufwand, um sich auf unsere Texte einzulassen. Das kostet sie Zeit. Sie schenken uns ein rares Gut: Ihre Aufmerksamkeit. 

Dieses Entgegenkommen möchte ich ihnen so möglichst einfach machen. Darum stelle ich mir beim Schreiben jeweils eine Brücke vor. Zum Beispiel diese Bamboo Bridge, die ich vor Jahren auf Bali bewundert habe. 

Sie versetzt mich in gute Stimmung, lässt mich an offene Menschen denken (Balinesinnen und Balinesen wirken auf mich meist achtsam, zugewandt, wohlgesinnt). Nun male ich mir aus, wie mir solch freundliche Menschen auf der Brücke entgegen kommen – das ist meine imaginäre Leserschaft. Ich mag sie 🙂. Diese Zuneigung hilft mir, empathisch zu kommunizieren. Das ist wohl eine ähnliche Haltung, wie Du sie hast, wenn Du neugierig auf die Menschen bist.

Nun frage ich mich: Welche Fragen oder Bedürfnisse haben sie? Wie kann ich ihnen antworten? Welche Fach- und Sprachkenntnisse haben sie, und wie passe ich meinen Text dementsprechend an? Schließlich soll dieser für sie klar und verständlich sein.

Ich bemühe mich daher beim Schreiben, den “Fluch des Wissens” zu überwinden: Dabei löst sich eine schreibende Person von der Annahme, dass ihre Leserinnen oder Leser denselben Hintergrund und Kenntnisstand haben wie sie. Dass diese alle Aussagen verstehen und nachvollziehen können. Oft ist das nicht so.

Einmal lesen und sofort verstehen: Das ist der Grundsatz der noch jungen Sprachform  ‘Einfache Sprache’, die ich gerne anwende. Sie ist schlank und schlicht, demokratisch und fair. In ihrer Werkzeugkiste steckt alles, was einen Brückenschlag möglich macht. Dabei steht die Empathie zuoberst.

Wer wie Du journalistisch geschult wurde, der wendet unbewusst viele Empfehlungen dieser Sprachform an. Es interessiert mich aber, ob Du Dich auch mal bewusst mit ‘Einfacher Sprache’ auseinander gesetzt hast? Oder mit ‘Leichter Sprache’? Sie dient Menschen, die kognitiv eingeschränkt sind. Beschäftigst Du Dich damit?  

Einmal lesen, sofort verstehen

Annette Schwindt

Ich weiß, dass es die leichte Sprache gibt und wie sie funktioniert. Praktische Anwendung hatte ich dafür bisher nur in der Kommunikation mit unserem Freund Kai, als seine Aphasie noch stärker war als heute. Damals konnte er nur einfache Hauptsätze verstehen. Aufzählungen, Oder-Sätze und Verschachtelungen konnte er nicht verarbeiten. So konnte man ihn nicht fragen: „Möchtest Du Honig oder Marmelade?“, sondern man musste einzeln fragen und sich durch die Möglichkeiten durcharbeiten: „Möchtest Du Honig.“ – Nein – „Möchtest Du Marmelade?“ – Ja.

Ansonsten habe ich ja schon beschrieben, wie ich versuche, einfach zu kommunizieren: Raus aus meinem Kopf, rein in den des Adressaten. So könnte man Deinen Ansatz ja auch zusammenfassen, oder? 

„Einmal lesen, sofort verstehen“, ist eine schöne Zusammenfassung. Dazu muss man allerdings auch selbst wirklich durchdrungen haben, worüber man reden will. Nur dann kann man es auch verständlich formulieren. Da hatte ich schon lustige Erfahrungen mit Kollegen, die sich nur in Beratersprech unterhalten konnten. Wer mir Fragen in dieser Sprache stellt, den bitte ich dann erstmal, die Frage in normaler Sprache zu wiederholen. Damit erübrigt sich das Antworten dann meistens, weil sie auf einmal selbst begreifen, was Sache ist. 😉

Leider geht es gerade im Netz vielen mehr darum etwas zu verkaufen, als wirkliche Gespräche zu führen. Authentizität ist da nur ein buzzword, community nur Mittel zum Zweck. Netzwerken dreht sich um Zahlen statt um das Interesse an den betreffenden Menschen. Das finde ich sehr schade. Als Social Media noch nicht kommerzialisiert waren, war es selbstverständlich echtes Interesse an seinem Gegenüber zu haben, sich auszutauschen und Wissen zu teilen. 

Gibt es denn besondere Erlebnisse, die Du dieser Art der Kommunikation verdankst? Und hast Du das Gefühl, andere schon damit angesteckt zu haben?

Eine für alle verständliche Sprache finden

Gabriela Bonin

Ich stimme Dir gerne zu: Raus aus dem eigenen Kopf…! Und ja, ich hatte Erlebnisse mit  unterschiedlichsten Leuten. Da fallen mir zunächst geflüchtete Menschen ein, die in meiner Gemeinde einquartiert wurden: Ihre Deutschkenntnisse sind noch schwach, darum unterstütze ich sie bei der Korrespondenz mit Behörden. Immer wieder zeigen sie mir Verordnungen von Ämtern, die ich selbst kaum verstehe – so kompliziert sind die formuliert. Wie sollen Neulinge so ein Beamtendeutsch kapieren?! Die USA sind uns diesbezüglich voraus: Dort müssen Behörden bereits seit 2010 gesetzlich vorgeschrieben in ‘Plain Language’ kommunizieren

Denn auch gut gebildete Menschen wissen Klarsprache zu schätzen. Das sehe ich unter anderem an der Fachhochschule, an der ich tätig bin: Da arbeiten fremdsprachige Professorinnen oder Dozenten, die alles über künstliche Intelligenz oder das Internet der Dinge wissen, aber noch wenig Deutschkenntnisse haben. Plain Language kommt ihnen entgegen. Dort schreiben Mitarbeitende auch Blogbeiträge, die ich für den Corporate-Blog der Hochschule redigiere: Wir verbreiten Fachwissen, zugleich aber achte ich darauf, dass wir die Texte vom “Fluch des Wissens” befreien. Ich “übersetze” sie so, dass eine breite Leserschaft sie gut verstehen kann. Denn wer im Web liest, der scannt Texte sehr schnell. Der Grundsatz “einmal lesen und sofort verstehen”, kommt im Web allen Lesenden entgegen.

Es gibt aber noch mehr Beispiele, die mich in meiner “Mission” bestätigen: Ich denke an ältere Menschen, die kognitiv eingeschränkt sind, wie etwa mein dementer Vater; an Jugendliche, deren Wortschatz noch unvollständig ist, wie meine Teenager-Töchter. Oder an meinen Mann, der als IT-Fachmann so stark Beratersprech redet, dass ich ihn oft um Übersetzung bitten muss 😉. Ich wünschte, ich könnte ihn mit meiner Art der Kommunikation anstecken! 

Das meiste Interesse dafür kann ich in meinen Schreibtrainings wecken. Wenn ich über neue Erkenntnisse aus der Verständnisforschung berichte, so ist das doch für viele Kursteilnehmende neu. Damit stoße ich auf offene Ohren. 

In welchen Situationen kommt Dir „Einfach Kommunizieren“ besonders zugute? Hat das konkrete Folgen für Dich oder andere?

Von Fremdsprachen und Missverständnissen

Annette Schwindt

Wenn ich anderen etwas erklären soll, bietet es sich an, dies mit möglichst einfacher Sprache zu tun. Mir ist das auch lieber, zumal ich als Mensch aus dem Autismusspektrum mit blumiger Ausdrucksweise nur schwer klarkomme. Deswegen weise ich Menschen, die mich gerade erst kennenlernen, auch ausdrücklich darauf hin, dass sie von mir direkte Sprache bekommen und ich sie so auch am besten verstehe. 

Schwierig wird es, wenn Leute bei mir zwischen den Zeilen lesen wollen, obwohl ich gar nicht so kommuniziere. Es gibt aber Menschen, die so daran gewöhnt sind, oder die es schlicht nicht anders können. Die fühlen sich dann von meiner Sprache angegriffen oder belehrt, obwohl ich das gar nicht möchte. Ich versuche nur, so präzise wie möglich zu sein. 

Ich liebe ja ohnehin alles, was mit Sprache zu tun hat, und würde gern noch mehr Sprachen lernen. Vor allem solche, die nicht aus meiner indoeuropäischen Sprachfamilie stammen. Nach unserer Hochzeitsreise nach Helsinki und Karelien hatte ich mal mit Finnisch angefangen, aber aus Zeitgründen wieder aufgegeben. Ich hab mich dann arbeitsbedingt mehr in HTML und CSS vertieft. Die sind übrigens auch umso besser, je klarer sie geschrieben sind. 😉

Beim Lektorieren muss ich auch darauf achten, dass ein Text beim ersten Lesen verständlich ist. Da werden dann öfter mal lange Schachtelsätze in mehrere einzelne aufgeteilt, oder umständliche Wendungen vereinfacht. Besonders interessant finde ich es, wenn der Text von jemandem mit einer anderen Muttersprache stammt, die ich aber auch spreche, und so passende Wörter oder Formulierungen anstelle von Hyperkorrektismen oder „falschen Freunden“ finden muss. Redewendungen sind besonders tricky. Dabei entstehen oft lustige Situationen, wie die mit den Schäfchen

Gibt es lustige Anekdoten, die Du mit einfacher Sprache oder dem Fehlen derselben erlebt hast?

Mit Sprache spielen

Gabriela Bonin

Auch ich liebe Sprache, Fremdsprachen, Sprachspielereien. Mit meiner Familie erfinden wir immer wieder neue Wörter, die nur wir untereinander verstehen. Da wir in Italien und in Indonesien gelebt haben, macht es uns auch Spass, Sprachen zu mischen. Statt “gute Nacht” sage ich gerne auch mal “mimpi manis”, weil es dies so einen warmen Klang hat. Das ist indonesisch und bedeutet “schöne Träume”. Wenn es kühl ist, rufe ich meinen Kindern öfter nach, sie sollen noch eine “felpa” überziehen. Auf italienisch ist das ein Hoodie (gibts dafür überhaupt ein deutsches Wort?!). Wenn wir unser Sprachgemisch dann noch mit helvetisierten Erfindungen (“Pömmesli” statt “Pommes Frites”) oder masurisch geprägten Ausdrücken von der Oma versetzen, dann können uns Aussenstehende nicht mehr folgen. 

Das ist ja das Schöne an Familiensprache, Soziolekten oder an Fachsprachen: Man versteht sich untereinander, kann sich wunderbar abgrenzen, kompakt und effizient kommunizieren. Sie unterstützen das Gruppengefühl, sind in sich präzise und direkt. Die Kehrseite davon ist der Fluch des Wissens. Ist man sich dessen bewusst, kann man damit spielen und sich entsprechend ausrichten. Entscheidend ist also meine Haltung dahinter, mein Mindsetting: Sobald ich nach “außen” kommuniziere – und verstanden werden möchte – nehme ich von meinem Wissen und meiner “Geheimsprache” Abstand. 

Über dieses Mindsetting sprach gestern ein Referent in einem Zoom-Meeting, an dem ich teilnahm. Darin tauschten sich Plain-Language-Expertinnen und -Experten aus mehreren Ländern aus. Der Referent ist zuständig für die Übersetzungen des EU-Parlaments. Letzten Sommer haben er und sein Team einen schon lang andauernden, wichtigen Prozess offiziell gestartet: Die Umstellung auf “Citizens’ language”, wie er es nennt; diese kommt der ‘Einfachen Sprache’ nahe. Er sagte, das Wichtigste in diesem Prozess sei das Mindsetting. Damit habe man die interne Sensibilisierungskampagne zugunsten der Umstellung gestartet. Dieses Mindsetting erreicht man meiner Meinung nach nur mit Empathie. 

Du hast nach Anekdoten gefragt: Dazu fällt mir ein Informatik-Wettbewerb für Kinder ein, über den ich eine Reportage geschrieben habe. Die Kinder präsentierten ihre Visionen zum “Bauen der Zukunft”. Nebst ihren tollen Konstruktionen, die sie zeigten, gefielen mir ihre Wortzusammensetzungen. In der ‘Einfachen Sprache’ achten wir darauf, dass wir Komposita möglichst auseinander nehmen, damit sie einfacher verständlich werden. Die Kinder beim Wettbewerb haben frisch und froh genau das Gegenteil getan: Für eines ihrer Zukunftshäuser erfanden sie zum Beispiel eine Sumpfpflanzenabwasserreinigung und eine Weltraumverschmutzungsbehebungsanlage 😄.

Du schreibst, dass Du Mühe hast, mit blumiger Ausdrucksweise. Fällt es Dir auf, dass wir Schweizerinnen und Schweizer uns blumiger ausdrücken als ihr Deutschen? Ein Beispiel, das mir geblieben ist: Wenn der Hamburger Pate meiner Tochter ein Bier bestellt, sagt er zum Kellner: “Ich krieg ein Bier”. Meine Güte, so direkt und klar, da zucken wir gleich zusammen! Wir sagen: “Grüezi, ich würde bitteschön gerne ein Bier bestellen”. 

Wie kann man derartigen Unterschieden begegnen, ohne die eine Seite als zu verzagt oder die andere als zu schroff einzustufen? 

Klischees und Missverständnisse

Annette Schwindt

Na, das mit der deutschen Bestellung ist aber ein Klischee. Ich würde das so nicht sagen. Eher: „Ich hätte gern ein Bier“ oder „für mich bitte ein Bier“, wenn andere vor mir dran waren. Und wenn die Bedienung zum ersten Mal an den Tisch kommt, sagen wir auch Hallo. Siehst Du, ich fühle mich schon als zu schroff hingestellt. 🙂

Eine gute Freundin von mir ist Engländerin. Über die Jahre hat da einiges aus unseren Gesprächen auf mich abgefärbt. Zum Beispiel sich öfter zu bedanken. Wenn sie sich aber wegen allem und jedem entschuldigt, dann machen wir uns schon auch zusammen lustig darüber und sagen „be more German“. 😉

Da ich täglich mit mehreren Sprachen zu tun habe, gibt es oft Situationen, in denen mir das passende Wort nicht in der Sprache einfällt, die ich gerade benutze. Darauf reagieren viele irritiert, weil sie es für Angeberei halten. Mir fällt das Wort dann aber wirklich nicht ein, oder es gibt schlicht keine gleichbedeutende Übersetzung dafür. Dann muss ich eben mit der Sprache, die gerade gebraucht wird, jonglieren, um wenigstens eine passende Umschreibung zu finden. Und ja, das gelingt nicht immer. Missverständnisse sind quasi vorprogrammiert.

Wichtig ist, wie man dann mit ihnen umgeht. Ich denke, solange man den anderen nicht abwertet, sondern ihm nur zeigt, was dessen Worte mit einem persönlich machen, ist es okay. Gewaltfrei kommunizieren, indem ich z.B. sage „diese Formulierung hat mir jetzt weh getan, weil ich das so und so verstehe“ statt pauschal zu schimpfen „Du bist immer so unsensibel“. Ich-Botschaften statt Grundsatzaussagen.

Hast Du Tipps für das Verhindern von oder den Umgang mit Missverständnissen?

Transparenz hilft

Gabriela Bonin

Ja, da sind wir wieder bei der Empathie: Wenn ich Missverständnisse verhindern will, dann stelle ich mich bestmöglichst auf mein Gegenüber ein. Das gelingt uns im Alltag nicht immer; man denkt zu sehr an sich selbst, ist unachtsam, hat zu viel zu tun. Deswegen entstehen viele Missverständnisse. 

Wenn es schon so weit ist und Misstöne in der Luft hängen, hilft Transparenz: Ich versuche zunächst einmal gut zuzuhören. Aufmerksam schweigen und hören, das kann Wunder wirken! Es signalisiert Respekt für die andere Seite. Wenn ich dann allenfalls noch gezielt nachfrage, gewinne ich einige Erkenntnisse hinzu. Also auch mehr Verständnis fürs Gegenüber. 

Schliesslich versuche ich – in Ich-Botschaft! – transparent zu machen, was meine Überlegungen waren, warum mich eine Aussage getroffen hat oder warum ich mich geirrt habe. Wenn wir Irrtümer erkennen und aus Fehlern lernen, dann bringt uns das weiter. Aber man kann auch mal transparent festhalten, dass man sich uneinig ist. Warum nicht eine kommunikative Störung auf diese Weise stehen lassen – ohne lange Diskussion?!

Schweigen und abwarten ist manchmal besser als die Dinge zerreden zu wollen. Ich brauche Zeit, um nach einem Missverständnis ein neues Verständnis aufbauen. Es dauert ein wenig, bis ich mir ein Herz fasse und über den eigenen Schatten springe. Wenn ich es jeweils geschafft habe, staune ich oft, wie es einen befreit und der Empathie neuen Auftrieb gibt. 

Hast Du es auch schon erlebt, dass Missverständnisse, die man klären und überwinden konnte, neue freudige Kräfte frei setzen? 

Annette Schwindt

Ja, das ist sehr befreiend, vor allem weil für mich ungeklärte Situationen extrem belastend sind. Ich habe deshalb eher Probleme damit, etwas ruhen zu lassen als damit, etwas anzusprechen. Wenn ich etwas nicht klären kann, tut mir das sehr weh. Es geht dabei nicht darum, Recht zu haben, sondern darum, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, mit dem beide klarkommen. Die von Dir beschriebene Vorgehensweise ist dazu gut geeignet, denn sie wirkt deeskalierend. 

Vielen Dank, dass Du Deine Sichtweise und Tipps zum Thema Empathie in der Kommunikation mit mir und den Lesern geteilt hast. Vielleicht hilft es dem ein oder anderen, seine eigene Kommunikationsweise mit neuen Augen zu sehen? 

Gabriela Bonin

Ja, das würde mich freuen. Zumindest bei mir ist bereits etwas in Gang gekommen: Deine Fragen und Hinweise haben mir gute Gedankenanstöße gegeben. Danke, dass Du mich zu dieser besonderen Gesprächsform eingeladen hast. 🤗

Über meine Gesprächspartnerin

Gabriela Bonin ist Textcoach, Dozentin, Texterin und Bloggerin. Sie ist mit Bonin Kommunikation seit 20 Jahren selbständig und arbeitet unter anderem für die Hochschule Luzern sowie für die Schweizer Journalistenschule MAZ. Sie sorgt mit Hilfe der Sprachform ‘Einfache Sprache’ für gute Verständlichkeit in der Kommunikation. Bonin ist verheiratet, hat drei Töchter und lebt in Beromünster, Luzern. – boninkommunikation.com

Foto von Gabriela: Sepp de Vries
Avatar von Annette: tutticonfetti

In meiner Rubrik „Bloggespräche“ unterhalte ich mich mit einem Gegenüber über ein frei gewähltes Thema wie in einem Mini-Briefwechsel. Wer ebenfalls mal so ein Gespräch mit mir führen möchte, findet hier alle nötigen Infos dazu und kann sich von dort direkt bei mir melden: https://www.annetteschwindt.de/bloggespraeche/


Diesen Beitrag weitersagen:

Eine Antwort auf „Empathie in der Kommunikation – Ein Bloggespräch mit Gabriela Bonin“

Liebe Gabriela, liebe Annette,
dieses Bloggespräch ist nah dran an meinem beruflichen Alltag; entsprechend oft musste ich nicken, lächeln oder seufzen. Das schöne Bild der Brücke kenne ich auch vom Übersetzen. In der Kommunikation von Wissenschaftsinstitutionen hat sich die Erkenntnis, dass die Leser*innen uns auf halber Strecke entgegenkommen und aktiv an der Verständigung mitwirken, noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Der Fluch des Wissens sucht mich jeden Tag heim, in der eigenen Kommunikation, aber auch in den Texten von Kolleginnen und Kollegen. Wie blind man für die Schwerverständlichkeit der eigenen Fachsprache ist, das zeigt sich geradezu tragikomisch, wenn Wissenschaftler*innen in meiner Institution über den Beratersprech der StartUp- und Digitalisierungsbranche lästern, aber die eigenen, ebenso kryptischen Fachtermini und den eigenen Abkürzungsfimmel komplett überhören.
Einige Wissenschaftler*innen mit ihrer, hm, „brachialpositivistischen“ Prägung tun sich auch schwer mit dem Verständnis von Ich-Botschaften: Die klingen ihnen zu subjektiv, überempfindlich oder gar egozentrisch.
Also müssen wir auch in der internen Kommunikation jeden Tag Brücken bauen, reparieren und beschreiten. 🙂

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