Krisen und Neubeginne – Ein Bloggespräch mit Anastasia Umrik

Wir sind uns bisher nur online begegnet, das aber schon vor einigen Jahren, als ich noch mit Zweisames und Anastasia noch mit anderstark und inkluwas zugange war. Inzwischen sind wir beide auf unseren Wegen weiter gegangen, folgen uns aber weiter online. Also habe ich sie gefragt, ob sie nicht Lust auf ein Bloggespräch hätte. Hier kommt es:

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Hallo, Anastasia! Es wird ja echt mal Zeit, dass wir uns näher austauschen, so lange wie wir uns schon online kennen, oder? 😉 Es freut mich jedenfalls sehr, dass Du bei meiner Reihe mitmachst! Zumal uns das Thema beiden aus eigener Erfahrung vertraut ist. Du hilfst inzwischen auch anderen, mit Krisen und Neubeginnen umzugehen. Wie bist Du darauf gekommen, das auch für andere anzubieten? Ist das emotional nicht furchtbar fordernd?

Erfahrungen teilen

Anastasia Umrik

Hallo liebe Annette, ich möchte Dir erstmal danken, mit Dir über mein Lieblingsthema sprechen zu dürfen. Früher fand ich das Thema Krisen und Neubeginne unfassbar anstrengend und einfach richtig nervig und blöd. Inzwischen habe ich die Schönheit darin entdeckt, denn das ist eine magische Zeit. 

Es hat einige eigene Krisen und mehrere Durchläufe gebraucht bis ich verstanden habe, wie das Prinzip funktioniert. Denn ich glaube, die Durchläufe, wie durch eine Art Geburtskanal, sind immer die gleichen. Aus diesem Grund habe ich irgendwann beschlossen, meine Erfahrungen auch mit anderen zu teilen, weil ich glaube, es muss nicht immer so schwierig und so dramatisch sein, wie es bei mir war.

Dir sind sicherlich Krisen auch bekannt. Wie gehst Du damit um? Hast Du das Gefühl, es ist immer der gleiche Ablauf quasi von A bis Z oder gibt es unterschiedliche Umgangsmöglichkeiten für Dich?

Krisen bedeuten Neuanfang

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Interessant, dass Du das fragst. Mir selbst ist das lange nicht aufgefallen und jedesmal, wenn ich wieder drin stecke, bin ich damit so beschäftigt, dass ich zunächst nicht daran denke. Aber mein Mann Thomas hat mir irgendwann gesagt, dass er bestimmte Phasen bei mir beobachtet, die immer wiederkehren. Meine Krisen sind dabei entweder gesundheitlicher Natur (Herzrhythmusstörungen) oder Sinnkrisen:

Bei denen der ersten Sorte gibt es wohl schon rein physisch einen festgelegten Ablauf: Lebensbedrohliche Situation versetzt Körper in Schockzustand und wenn der sich löst, breche ich emotional zusammen, weil ich den Stress, der dabei entstanden ist, durch den Schock nicht mitbekommen habe und nun loswerden muss. Danach Rekonvaleszenz bis es mir wieder normal geht.

Die Krisen der zweiten Sorte kommen immer dann, wenn ich gerade eine größere Zusammenarbeit beendet habe und noch keine Neue in Sicht ist, oder wenn ich zu oft dasselbe  hintereinander gemacht habe. Wie ich durch Kai und seine Aphasie gelernt habe, liegt wohl auch das daran, wie das Hirn funktioniert: Nach Zeiten eines Hochs folgt eine Pause, mit der Anlauf geholt wird für das nächste Hoch und so weiter. Wenn ich also jetzt in einer Sinnkrise stecke, macht mich Thomas darauf aufmerksam, dass dies bedeutet, dass bald was Neues Spannendes auf mich zukommt. Und das ist dann auch jedesmal wirklich so.

Entspricht das auch Deiner Erfahrung?

Das Leben als in Bewegung verstehen

Anastasia Umrik

Das entspricht nicht so ganz meiner Erfahrung. Ich glaube aber, das liegt daran, dass ich unter dem Wort Krise etwas anderes verstehe. Und ich glaube, da müssen wir als Erstes ansetzen: Was ist eine Krise? Was ist einfach eine Ungeduld? Was ist wirklich eine Situation, die nicht auszuhalten ist und was ist vielleicht etwas, das normal ist und zum Leben gehört, das wir aber (vor allem im Westen, also in der privilegierten Welt) viel zu schnell als Krise bezeichnen? 

Für mich ist eine Krise kurz gefasst ein Zustand des Erstarrens. Wenn es zum Beispiel viel zu tun gibt, im Alltag, oder Projekte, die beendet werden wollen, wo auch das Herz hingeht, und trotzdem geht nichts mehr. Oder durch ein einschneidendes Erlebnis, wie durch den Tod, eine Diagnose oder eine Trennung oder etwas, womit wir nicht gerechnet haben, was uns einfach total umhaut. Wie eine Ohrfeige des Lebens. Das ist für mich eine Krise.

Was Du beschrieben hast, wenn das eine Projekt beendet und das andere noch nicht da ist, das würde ich persönlich nicht als Krise bezeichnen. sondern als das Schweben im Nichts. Das kann sich natürlich trotzdem als Krise anfühlen. 

Ich glaube generell dürfen wir und müssen wir das Drama, die Katastrophe aus diesem Wort Krise nehmen. Denn solange wir darin verharren und denken „Oh mein Gott, jetzt bin ich in einer Krise, jetzt bin ich aber wirklich in etwas hinein gefallen – das fühlt sich ja immer wie ein schwarzes Loch ohne Boden an – in dem Moment verlieren wir auch den Halt unter den Füßen. 

Wenn wir aber lernen, das Leben als Spirale nach oben oder meinetwegen nach unten, egal, aber jedenfalls in Bewegung zu begreifen, dann sehen wir die Krise auch nicht als etwas, das wir nicht greifen können, Etwas,das uns Angst machen muss, oder auch Angst macht, sondern als etwas, das zum Leben und zur Entwicklung dazugehört. Denn wie wollen wir uns entwickeln ohne durch bestimmte schmale Türen oder Orte zu gehen, die uns unangenehm erscheinen? 

Ich glaube, wir müssen anfangen, über die Krise anders zu denken, oder uns erlauben, diese anders zu empfinden. Gibt es für Dich einen Unterschied zwischen Krise und einer, ich sag mal normalen Entwicklung im Leben, oder sind für dich die nächsten Schritte auch immer ein Schritt durch die Krise?

Bereit werden für das Neue

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Da hab ich mich wohl missverständlich ausgedrückt. Es ist keine Ungeduld, weil kein neues Projekt da ist. Ich arbeite ja nicht wie andere, schon gar nicht immer dasselbe und warte dann nur auf einen neuen Auftrag. Das wäre ja vergleichsweise banal.

In meinem Leben tauchen vielmehr ganz organisch immer wieder besondere Menschen und mit ihnen neue Themen auf, durch die sich mein sinngeprägtes Tätigsein, manchmal mein ganzes Leben in eine neue Richtung bewegt. Das passiert alle paar Jahre, wie in unregelmäßigen Zyklen. Und immer bevor so etwas Neues anfängt, erlebe ich so ein Loch wie Du es beschreibst. Eben eine Sinnkrise. Was soll das alles? Habe ich es bisher überhaupt richtig gemacht? War’s das jetzt?

Dass und was da Neues kommt, kann ich zu diesen Zeitpunkten noch nicht sehen und es ist mir dann auch nicht bewusst, dass sich einfach ein Kreis schließt, damit sich ein neuer öffnen kann. Ich stelle dann vieles grundsätzlich in Frage und brauche den Blick von außen, der mich darauf aufmerksam macht, dass ich eben grade dabei bin, mich durch eine schmale Tür zu bewegen, um dahinter einen neuen, weit offenen Raum entdecken zu können. Und dass der bisherige Weg mich genau dahin geführt hat. Von allein komme ich da nicht drauf, weil ich eben im Loch festsitze.

Zum Glück bin ich nicht nur mit einem geduldigen Mann gesegnet, der mir dann zuhört, sondern auch mit einer großen Portion Trotz. Das bedeutet, wenn ich in so ein Loch falle, dann werde ich irgendwann genervt von mir selbst und fange an, mich mit irgendwas zu beschäftigen, nur um mich abzulenken. Das funktioniert meistens ganz gut, lenkt meinen Blick auf etwas anderes, und so komme ich dann Stück für Stück wieder raus aus dem Loch und bin irgendwann bereit für das Neue.

Wie gehst Du selbst damit um und wozu rätst Du anderen, wenn man in so einem Loch steckt?

Raus aus dem „KreaTief“

Anastasia Umrik

Deine Frage passt genau zu meiner aktuellen Situation und auch zu der Situation, in der im Moment sehr viele Menschen stecken: Ich hänge durch. Ich bin in einem Kreativitätsloch. “KreaTief” nenne ich das immer.

Zuerst habe ich versucht, mit den üblichen Methoden wie sich ablenken, rausgehen, sich mit jemandem unterhalten wieder da raus zu kommen, bis ich gemerkt habe: Weißt Du was? Ich bleibe jetzt einfach hier. Und das ist jetzt eine meiner neuen Methoden für mich selbst und zu der ich auch viele Menschen ermutige, das zu wagen. Und zwar, es sich einfach in diesem Loch gemütlich zu machen. 

Sich einfach mal zu sagen: Okay, jetzt bin ich in dieser Dunkelheit, jetzt bleib ich hier. Jetzt koch ich mir hier einen Kaffee, gucke hier aus dem Fenster (wenn es da überhaupt eins gibt) und leg die Beine hoch. Wenn es sein muss, dann guck ich Netflix oder was anderes, oder ich lese, oder ich schlafe. Auf jeden Fall versuche ich, so gut es geht, mir weder Druck zu machen, noch irgendwelche Ideen und Gedanken hochzuholen oder auf Krampf irgendwas zu kreieren. Ich hab keine Ahung, wie lange ich hier bleibe. Ich hab keine Ahnung, wie ich hierhin gekommen bin, aber ich merke, hier bleib ich jetzt erstmal und mache es mir gemütlich.

Vielleicht ist es auch gar kein Loch im Sinne von etwas Negativem, etwas Dunklem, sondern vielleicht ist das genau die Lebensphase. Einmal fühlt es sich nach Kreativsein und weiter oben laufen an und es gibt viele Blumen zu pflücken und viele Ideen zu entdecken und sie umzusetzen und manchmal geht es eben in die Dunkelheit. Vielleicht hat es gar nichts damit zu tun, dass es gleich eine Sinnkrise sein muss, sondern einfach nur eine andere Phase? 

Was wenn wir aufhören würden das Leben, oder das Jahr, oder die Woche in Jahreszeiten, Monate oder Tage einzuteilen, sondern vielmehr in Phasen, die sehr individuell sein können? Wie würde es sich für Dich anfühlen, wenn es keine universellen Zeitangaben gäbe, an die sich alle Individuen anzupassen haben, sondern wenn wir uns erlauben würden, unseren inneren Flow mehr dem Instinkt hinzugeben und gar nicht erst der Bewertung von guter und schlechter Zeit?

Zeit ohne Bewertung

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Eigentlich lebe ich schon größtenteils so. Ich bin dann tätig, wenn es etwas zu tun gibt, oder wenn ich Lust dazu oder eine Idee habe, egal welcher Tag oder welche Uhrzeit es ist. Wenn mein Mann Thomas Urlaub hat, tun wir das auch beide. Ich muss öfter mal nachsehen, welches Datum wir haben und wenn wir nicht feste Termine an bestimmten Tagen hätten, wäre der Wochentag auch egal. Feste Zeiten brauche ich daher schon lange nur noch zum Verabreden von Terminen mit Dritten. Ansonsten esse ich, wenn ich hungrig bin und gehe schlafen, wenn ich müde bin. 

Ich habe lange gebraucht, mir konsequent Zeit und Raum für mich/uns zu nehmen ohne mich dabei schuldig zu fühlen. Gerade als Frau muss man ja erst mal lernen, Nein zu sagen – oder bewusst zu unterscheiden, wozu man Ja sagt und wozu nicht. Inzwischen versuche ich also, die Phasen anzunehmen, in die mein Leben geht, und sie möglichst bewusst wahrzunehmen, um daraus zu lernen. Das gelingt mir noch lange nicht einfach so, aber ich denke, ich bin auf einem guten Weg. 😉

Mit zunehmendem Alter wird es mir auch immer unwichtiger, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Ich finde es aber nach wie vor schwierig zuzusehen, wie viele Menschen sich so sehr davon abhängig machen, was “die Leute denken” oder von ihnen erwarten. 

Was machst Du, wenn so jemand zu Dir kommt? Oder finden solche Menschen gar nicht erst den Weg zu Dir? Was sollte ein Mensch mitbringen, wenn er mit Deiner Hilfe den Weg zu einem Neubeginn finden will?

Seinen Rhythmus wiederfinden

Anastasia Umrik

Du hast in Deiner Antwort etwas Wichtiges angesprochen und zwar dieses schlechte Gewissen, sich Zeit und Raum für sich selbst zu nehmen, für Pausen, ja für die Stille. Das kenne ich von mir auch. Und von vielen Menschen, die zu mir ins Coaching kommen, die immer das Gefühl haben, erst, wenn ich dies oder das erledigt oder geschafft habe, erst wenn ich XY erreicht habe, darf ich überhaupt eine Pause machen. Erst dann darf ich erst das Gefühl haben, gut zu sein und mich entspannen, die Füße hochlegen oder Quatsch im Fernsehen gucken und mich ungesund ernähren. 

Wir sind immer so auf Regeln getrimmt. Darauf, wie es sein müsste, wie es sein sollte. Was die anderen sagen, was die Eltern – selbst wenn sie nicht mehr leben – von uns denken würden. Wir hören immer die Stimmen der Vergangenheit in unserem Kopf, die uns wieder maßregeln. Ich versuche mich immer noch aktiv davon zu befreien.

Auf Deine Frage, welche Menschen zu mir finden und ob es denen auch so geht: Zu mir kommen Menschen, die schon über diese Schwelle des schlechten Gewissens hinaus sind. Sie sind also schon mal einen halben Schritt weiter. Sie fühlen: So wie es jetzt läuft, ist es irgendwie falsch. So wie es jetzt ist, ist es nicht mein Rhythmus. Aber die wenigsten haben gelernt, was ihr eigener Rhythmus ist. Das fängt ja schon mit der Einschulung an. Wir werden in so eine Rhythmus-Gesellschaft trainiert: Wir stehen alle zur gleichen Zeit auf, wir gehen alle zur gleichen Zeit ins Bett. Und das hat nichts mehr mit dem Sonnenaufgang und -untergang zu tun, sondern damit, wie die kapitalistische Welt aufgebaut ist. Und irgendwann können dann manche Menschen nicht mehr, weil sie fühlen: Irgendetwas passt hier nicht, das stimmt nicht mit meinem Inneren überein. 

Das sind dann Menschen, wie sie auch zu mir kommen, wenn der Leidensdruck hoch genug ist. Aber eigentlich müsste man schon mit der Umstellung des Lebens beginnen, bevor der Druck so unerträglich wird. Doch leider kommen die meisten Menschen erst dann, wenn sie nicht mehr können. Vorher fühlen sie es aber trotzdem, sie beobachten, hören aufmerksam zu und es arbeitet in ihnen. Sie verarbeiten das wie eine Art Nahrung. Wenn es dann den richtigen Nerv zur richtigen Zeit trifft, dann spüren sie: Oh mein Gott, jetzt! Ich möchte auch etwas verändern, ja ich muss etwas verändern.

Denn es ist eine Sache, was man will und von dem man weiß, man müsste es eigentlich, weil man die Wahrheit dahinter spürt, und es ist eine andere Sache, wenn es wirklich nicht mehr anders geht, weil zum Beispiel der Körper völlig rebelliert. Da kannst du nicht mehr so tun, als wäre alles in Ordnung, als wäre nichts passiert. 

Was würdest du persönlich einem Menschen raten, der dir erzählt, dass er in einer Krise ist und gerade überhaupt nicht weiß, wo vorne und hinten ist? Was wäre da dein ultimativer Tipp? Hast du da einen, oder vielleicht mehrere, die du weitergeben und mit uns teilen möchtest?

Erfahrungen machen lassen

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Ja, es heißt ja auch immer, dass  man niemandem helfen kann, der sich nicht helfen lassen möchte, oder der sich noch nicht darüber im Klaren ist, dass er Hilfe braucht… Von außen sieht man sowas ja manchmal schon früher. Da ist es dann oft schwer, sich nicht einzumischen. Aber da hat mir eine Freundin einen guten Leitsatz aus der systemischen Beratung beigebracht: Wenn die Person sich ohne Einsicht zu ihrem eigenen Schaden verhält, dann möchte sie wohl diese Erfahrung machen. Egal ob bewusst oder unbewusst. Lernen wird sie es nur, wenn sie es selbst erlebt. Wie das Kind mit der heißen Herdplatte. Und da muss man dann als Beobachter, Freund, was auch immer, einfach durch. So schwer es fällt…

Was würde ich jemandem raten, der begriffen hat, dass er/sie in einer Krise steckt? Zunächst mal zuhören und genauer nachfragen. Manchmal kommt der/diejenige dann schon von selbst drauf. Überhaupt mit jemandem reden, ist wohl der erste Rat, den ich geben würde. Aber wenn es wirklich existentiell wird, dann würde ich dringend zu professioneller Hilfe raten. 

Wenn das nicht geht oder gewünscht ist, dann hilft oft etwas, das mir mal von einer Freundin in einer Krise gesagt wurde: Wann hast Du das letzte Mal etwas für Dich selbst getan? Was könntest Du tun, um zu Dir selbst zu finden? In meinem Fall damals hatte ich nur noch gearbeitet und gar nichts Kreatives mehr gemacht. Dabei ist das schon immer ein wichtiger Teil von mir gewesen. Also habe ich wieder zu malen begonnen und das hat geholfen. 

Wenn man auch da nicht weiter weiß, hilft es oft, einfach mal gar nichts zu tun. Füße hoch, Schokolade und irgendwas, das man gern mag, essen, Schnulzen schauen oder die Lieblings-Comedyserie bingen. Traurige Musik hören und mal richtig ausweinen. Und was bei mir sehr effektiv ist: Meditieren. Ich habe Klangmeditationen für mich entdeckt und kann damit richtig gut loslassen. In der Meditationsapp „Insight Timer“, die ich nutze, habe ich inzwischen mehrere sogenannte „Soundbaths“ als Lesezeichen, in die ich immer wieder eintauchen kann. 

Welche Tipps hast Du? Bis wohin kann ein Coaching bei Dir helfen und ab wann sollte man sich besser psychotherapeutische Beratung suchen? Musstest Du schon Menschen weiterschicken?

Den richtigen Menschen begegnen

Anastasia Umrik

Ich beobachte, dass es da zwei Arten von Herausforderungs-Wurzeln gibt. Einmal, wo alles brachliegt und komplett unsortiert und zugewachsen ist mit alten Geschichten, mit Trauma, mit so einem Nebel, dass ich den mit meiner (so nenne ich es mal) Coachingmaschine gar nicht weggepustet bekomme. Es gibt einfach Lebenswege, die so verwinkelt und intensiv waren, dass man erst mal mit professioneller Hilfe aufräumen muss, auch um sicher zu sein, dass man gehalten wird. Ich glaube zwar, dass ich diese Fähigkeiten auch habe. Als Freundin im Freundeskreis kann ich diese Methoden auch anwenden. Dennoch würde ich Therapie nicht mit Coaching vergleichen. 

Und einmal gibt es die Herausforderung in einer bestimmten Situation, bzw. zeigt sich die Krise in nur einem bestimmten Bereich. Wenn es noch nicht alles komplett verschüttet ist, dann ist es ein „klassischer Coachingfall“, wobei – ein gutes Coaching findet die Wurzel des Problems. (Meistens liegt es ja nicht wirklich am Chef / an der Chefin, selbst wenn ich es vorher dachte.)

Klar hab ich schon Menschen weitergeschickt und zwar immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, dass die Person nicht bei der Sache ist. Zum Coaching kommt man ja meistens mit einem Anliegen und dann arbeitet man an diesem einen Anliegen. Meistens hat die Wurzel gar nichts mit dem Anliegen zu tun. Das sind dann immer so spezielle Geschichten. Aber sobald ich merke, dass der Mensch eigentlich keine Kapazitäten dafür hat, weswegen er zu mir gekommen ist, dann fühle ich schon, dass da mehr dahinter steckt. Dass da viel zu viel unter diesem Deckel schlummert, an das ich mich auch gar nicht ran traue, weil ich gar nicht einschätzen kann, was da alles hochkommt, was da alles auf uns zugerast kommt. Davor habe ich zuviel Respekt. Trotzdem würde ich behaupten, dass ein guter Coach viel besser ist, als ein schlechter Therapeut.

Ich habe das nämlich auch schon erlebt, dass nicht jede/r Therapeut/in einen guten Coach ersetzen kann. Am Ende des Tages geht es oft einfach darum, einem Menschen zu begegnen, ob das jetzt ein Therapeut, ein Coach oder jemand an der Theke an der Tanke ist, oder im Café oder beim Spaziergang mit dem Hund. Es können uns Menschen begegnen, die unser Leben verändern. Menschen, die etwas sagen, und auf einmal geht uns ein Licht auf und wir haben das Gefühl „Mensch, darauf hab ich die ganze Zeit gewartet! Das hab ich gebraucht! Dankeschön! Zehn Jahre Therapie gespart, weil ich dieses eine Buch gelesen, oder diesen einen Menschen beim Spazierengehen getroffen habe, oder bei Aldi an der Kasse.“

Ich glaube, wenn man auf der Suche nach Lösungen ist, lohnt es sich auf jeden Fall, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber auch offen zu sein für die Impulse, die uns begegnen, dafür, welche Menschen uns begegnen und was sie sagen, und sich zu fragen, was hat das mit mir zu tun. Hattest Du mal so eine Begegnung, wo Du dachtest: Wow, das verändert gerade mein Leben?

Auf zu Neuem

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Ja, sowas durfte ich glücklicherweise schon mehrmals erleben. Manchmal merkt man es gleich zu Anfang, manchmal erkennt man es erst später. Ich denke außerdem auch, dass man einfach mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen sollte, dann wird man Antworten finden. Das ist es ja auch, worauf Thomas mich aufmerksam macht (um jetzt mal den Kreis zu schließen und an den Anfang anzuknüpfen), wenn ich in einer Krise hänge: Es bedeutet, dass mir bald was Neues begegnen wird. Und das tut es dann auch jedesmal. 

Ich danke Dir nochmal für diese unsere Gesprächs-Begegnung und überlasse Dir das Schlusswort:

Anastasia Umrik

Lieber Mensch, der es gerade liest: Sollte es dir gerade nicht besonders gut gehen, die Krise dich vielleicht fest umschlungen hat, möchte ich dich ermutigen dich zu entspannen. In die Angst, in das Nichtwissen, in die Verspannung hinein. Lass dich fallen und das Leben geschehen. Wer weiß – vielleicht wirst du schon bald ein kleines Wunder bezeugen können. 

Liebe Annette, ich danke dir sehr für das schöne Gespräch und unseren bereichernden Austausch!

Über meine Gesprächspartnerin

Anastasia Umrik

Anastasia Umrik mag den Wandel, die Krisen und die daraus entstehenden Neubeginne. Als Sonderschülerin an die Uni, von der Uni zur Unternehmerin – sie wollte die Welt verändern, wollte die Herausforderungen selbst in die Hand nehmen und diese lösen. Durch eine Nahtoderfahrung musste sie innehalten und reflektieren: „Was möchte ich wirklich von meinem Leben?!“ Nun ist sie Expertin für Neubeginne, spricht über Mut, die Trauer und das Nichtwissen was kommt. Sie arbeitet in Hamburg als Coach und Autorin. – anastasia-umrik.de

Foto von Anastasia: Julia Santoso
Avatar von Annette: tutticonfetti

Wer Hilfe in einer akuten Krisensituation benötigt, kann sich in Deutschland an folgende Telefonnummern/Websites wenden:

Tel.: 0800 / 11 10 111
Tel.: 0800 / 11 10 222
Rund um die Uhr
www.telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon
Tel. 0800 / 11 10 333
Mo – Sa 14:00 – 20:00 Uhr
www.nummergegenkummer.de

Weitere Anlaufstellen in Deutschland und auch für Österreich und die Schweiz gibt es unter https://www.deutsche-depressionshilfe.de/krisentelefone.

In meiner Rubrik „Bloggespräche“ unterhalte ich mich mit einem Gegenüber über ein frei gewähltes Thema wie in einem Mini-Briefwechsel. Wer auch mal so ein Gespräch mit mir führen möchte, findet alle nötigen Infos dazu unter https://www.annetteschwindt.de/bloggespraeche/ und kann sich von dort direkt bei mir melden.


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