Zum Thema Schönheit – Ein Bloggespräch mit Jana Schlosser

Manchmal ergibt sich ein Bloggespräch in Reaktion auf das andere. So meldete sich meine heutige Gesprächspartnerin spontan auf die Veröffentlichung meines Austauschs mit Maren Martschenko über Kunst und schlug mir ihr eigenes Herzensthema vor: Schönheit. Da ich das Thema in dieser Reihe bisher nur indirekt angesprochen habe, bin ich gern darauf eingegangen und los geht‘s:

Annette Schwindt

Ich freue mich, dass Du Dich gemeldet hast, liebe Jana, und bin gespannt auf unseren Austausch! Wir kannten uns ja bisher noch nicht und haben auch im Vorfeld dieses Gesprächs nur kurz gechattet und telefoniert. So richtig ins Thema einsteigen und uns dabei besser kennenlernen können wir also erst jetzt. Du beschäftigst Dich ja generell viel mit dem Thema Schönheit. Wie bist Du darauf gekommen und wie ist es zu Deinem Herzensthema geworden?

Wer findet was schön?

Jana Schlosser

Ich freue mich ebenso. Und ich bin sehr gespannt, wo uns dieses Gespräch hinführen wird.

Das Thema Schönheit, oder anders ausgedrückt: “Was ist schön?” beschäftigt mich schon seit meiner Schulzeit. Irgendwann, vielleicht in der 6. Klasse, hatte mein Zeichenlehrer eine Arbeit von mir zu einem Mal- und Zeichenwettbewerb eingereicht. Und irgendwann danach erhielt ich dafür einen kleinen Preis mitsamt einer Broschüre zum Wettbewerb. Auf dem Titelbild war die Venus von Willendorf abgebildet. Darüber stand die Frage: Was ist schön? Und das hat mich damals sehr erschreckt, denn ich fand diese Frauendarstellung alles andere als schön.

Heute sagt man mir nach, ich fände alles schön. Der Satz: “Ist das schöööön!” wird von mir wahrscheinlich mehrfach am Tag geäußert. Irgendwann ist mir das selbst bewusst geworden. Und natürlich erst einmal die Frage aufgeploppt: Warum finde ich alles schön? Die lasse ich mal so stehen. Denn viel wichtiger finde ich ja: Was ist schön?

Im Jahr 2021 habe ich meinen eigenen Podcast mit Grafikdesign-Tipps gestartet. Und ich wollte mein Thema, Schönheit, irgendwie in die Öffentlichkeit bringen. Deshalb habe ich in jeder 5. Episode ein Interview geführt: Was ist schön? Schon nach dem ersten Gespräch war klar, dass ich diese Frage so gar nicht stellen kann, denn die Antwort ist in jedem Fall sehr individuell und subjektiv. Deshalb habe ich sie in den nächsten Begegnungen umformuliert: Was findest du schön?

Liebe Annette, das ist jetzt auch meine erste Frage an dich: Annette, was findest du schön?

Verschiedene Arten von Schönheit

Annette Schwindt

Da würde ich äußerliche und innere Schönheit unterscheiden. Bei der äußerlichen geht es einerseits um die üblichen ästhetischen Faktoren wie Harmonie etc., andererseits aber auch um ausgeprägte „Charaktergesichter“, unerwartete Töne oder kantiges Design oder Schönes aus hässlichen Materialien, wie Kunst aus Müll

Viel schwerer zu beschreiben ist das, was man nicht sehen, sondern nur fühlen kann. Das ist es, was ich als innere Schönheit bezeichnen würde. Oft kann man das dann nur umschreiben. 

Während äußerliche Schönheit mehr oder weniger offensichtlich ist, hängt das Erkennen von innerer Schönheit meiner Erfahrung nach davon ab, wie genau jemand einer Situation überhaupt Beachtung schenkt. Viele Menschen verpassen schöne Momente, weil sie nicht richtig hinsehen, oder – noch schlimmer – sich nicht trauen, richtig hinzusehen, zuzuhören oder zu spüren. Doch wer sich das traut, der kann viele kleine und große schöne Dinge und Momente erleben, selbst da, wo man es nicht erwarten würde.

Besonders spannend wird es, wenn dann gerade diese Schönheit auch für die sichtbar gemacht werden soll, die sie von allein nicht erkennen würden. Durch bildende Kunst oder Musik oder die richtigen Worte. Und das gerade dann, wenn diese Form im vermeintlichen Gegensatz zum Dargestellten steht. Das ist dann eine echte Herausforderung und führt im Idealfall wieder zu etwas eigenem Schönen. So habe ich in meinem Text „Das gute Leben“ versucht, die Schönheit einer Freundschaft zu beschreiben, die durch schlimme Umstände entstanden ist, und herausgekommen ist eine, wie ich finde, schöne Geschichte. 

Also um Deine Frage kurz zu beantworten: Ich finde besonders schön, was seine Schönheit nicht offensichtlich zur Schau stellt, sondern wofür man genauer hinsehen oder -spüren muss. Welche Antwort würdest Du selbst auf Deine Frage geben?

Liegt in allem Schönheit?

Jana Schlosser

Alles. 🤭

Je länger ich mich mit der Thematik beschäftige und je mehr Antworten anderer Menschen ich höre, desto stärker wird mir bewusst, wie viel Schönheit mich umgibt. Insofern könnte meine schnelle, aus dem Bauch heraus gegebene Antwort tatsächlich lauten: alles.

Ich bin dieser Frage auf den mir im Moment erschließbaren Grund gegangen und habe eine Zweiteilung bemerkt. Auf der einen Seite steht die emotionale Antwort. Ich finde schön, was mich berührt, beglückt, bewegt. Was mir Lust bereitet, was das Besondere ist. Und mich dadurch auffordert, in den Dialog zu treten. Zum Beispiel: führe ich eine Tasse an meinen Mund und fühle dabei ihre passende Form und spüre ihr Material oder ich schmecke das Getränk oder ich laufe durch einen Wald und spüre äußerlich das Wetter des Tages, rieche die Düfte des Waldes, empfinde die Stimmung, bemerke meine Schritte. Das sind die emotionalen Begegnungen mit Schönheit. Sie sind verknüpft mit meinen Sinnen: Fühlen, Hören, Spüren, Schmecken, Riechen oder einfach Bauch. Auch reden, schweigen, gehen, liegen, essen, hungern, trinken, dürsten, schlafen, wach sein etc. gehören als sinnliche Form dazu. Sie steckt in der Zeit, im Moment, in ihrer Alltäglichkeit und in allem äußeren Schein.

Und dann gibt es die andere Seite. Als wäre Schönheit, genau wie viele andere Dinge, eine Medaille mit zwei Seiten: da ist noch etwas, als wäre es ein Spiegel oder Geist im Sinne von Philosophie, nicht im Sinne von Metaphysik. Schönheit steckt einfach IN den Dingen. In einer mathematischen Formel, in Architektur, in Bildung, in Medizin, in dem Gesicht hinter dem äußeren Gesicht, in einer Sprache, in einem Klang, in einer Erfindung, in einem Lachen. Es ist etwas, das ich vielleicht als das Dahinter bezeichnen würde. Diese Schönheit kann ich eher mit Fragen als mit Antworten beschreiben: Warum wollen Menschen nicht in gleichförmigen Wohnsilos wohnen? Warum ist ein altes, zerknittertes, von Falten zerfurchtes Gesicht genauso schön wie ein junges, glattes, helles, makelloses? Was ist es, wenn ein Mediziner ein lebendiges Herz in den Händen hält und dies als “schön” beschreibt? Was steckt hinter dem Aha-Effekt, wenn wir glauben, etwas wirklich zu verstehen, z.B. eine mathematische Formel?

Letzten Endes glaube ich, dass Schönheit ein Lebenselixier ist. Wir Menschen streben bewusst oder unbewusst alle nach Schönheit. Ob das eine Äußerlichkeit ist, indem ich zum Frisör gehe oder mir schöne Kleidung oder eine sehr persönliche Wohnumgebung schaffe oder ob ein inneres Empfinden dafür herhalten muss. Egal! Wir tun dies aus einem in uns befindlichen Wunsch nach Harmonie/Vervollkommnung/Glück … heraus. 

Genau deshalb hat sich Ende letzten Jahres eine Frage entwickelt, die mich gerade umso mehr beschäftigt: Kann Schönheit Frieden bringen?

Diese Frage lasse ich jetzt mal so stehen. Ich habe gerade Nachrichten geschaut. Ich weiß nicht, wie die Antwort lautet. Vor ein paar Wochen war ich überzeugt davon, dass diese Frage mit JA zu beantworten ist. In diesem Moment eines innereuropäischen Krieges, den niemand will, wirkt dieses JA falsch..

Was sagst du: Kann Schönheit Frieden bringen?

Schönheit und Frieden

Annette Schwindt

Das ist eine sehr komplexe Frage. Ich versuche mal, meine Gedanken dazu aufzudröseln:

Mit Schönheit wird i.d.R. Harmonie assoziiert. In der Natur bedeutet das, dass ein Gleichgewicht auf der Basis von Diversität entsteht. Es geht also darum, dass Verschiedenes miteinander interagiert und so in Balance bleibt. Sobald ein Element die Oberhand gewinnt, entsteht ein Ungleichgewicht, und das führt zum Ende der betreffenden Population oder des Biotops. Inzucht zerstört sich selbst.

Was nun aber als schön empfunden wird, ist individuell sehr verschieden und auch Moden und Ideologien unterworfen. Der Aggressor in diesem Krieg empfindet offenbar den Zustand vor seinem Einmarsch als unschön und möchte zu einem Zustand hin, den er als schöner empfindet. Diese Vorstellungen teilen wir, die betroffenen Menschen und der größte Teil der Welt überhaupt nicht, denn sie basieren auf Gewalt und Größenwahn. Dieser Weg wird also sicher nicht zu einem dauerhaften Frieden führen können.

Was vielmehr zum Frieden führt, ist Kommunikation, Miteinander statt Gegeneinander. Im friedvollen Miteinander liegt Schönheit. Dieses Miteinander kann im Kleinen beginnen und immer größer werden. Mit Schönheit lässt sich also zumindest ein Zeichen für den Frieden setzen, so wie hier von diesen Musikern: https://www.youtube.com/watch?v=mQSIeD-x6dQ. Ob sich damit aber schließlich ein allgemeiner Frieden herstellen lässt, weiß ich nicht. Ich hoffe es und versuche, meinen Teil dazu beizutragen.

Was denkst Du, wie wir für mehr echte Schönheit und damit Frieden einstehen können?

Innere Ruhe entsteht

Jana Schlosser

Durch genau eben jene Kommunikation, die du beschreibst. Durch Annäherung, durch Miteinander, durch Respekt und Achtsamkeit.

Die Frage, was findest du schön, habe ich im letzten Jahr den verschiedensten Menschen gestellt. Und sicher waren die Antworten immer sehr persönlich und individuell. Doch ich konnte vor allem beobachten, dass ich im ersten Moment eher irritiert angeschaut wurde. Oder zuerst einmal die Antwort kam: Warum willst du das wissen? Doch dann, sobald sich der Moment des Nachdenkens einstellte, entstand eine Pause. Zuerst veränderte sich die Körperhaltung (mein Gegenüber wurde aufrechter), dann der Blick (er wanderte in die Ferne und gleichzeitig ins Innere). Und danach? Sobald der Blick meines Gegenübers zu mir zurück in die Aufmerksamkeit kam, begann sein Gesicht zu strahlen. Oder lächeln. Als würde sich eine tiefe innere Ruhe breit machen. Und zwar bevor überhaupt die erste Antwort kam.

Aus dieser Beobachtung heraus, und weniger aus den Antworten, leite ich meine These ab. Es entsteht innerer Frieden, wenn über Schönheit bewusst nachgedacht wird. Die anfängliche Voreingenommenheit über diese scheinbar “unsinnige” Frage weicht einer Kommunikation, die sich schier in unendliche Welten ausbreitet. Du hattest ganz zu Anfang geantwortet, dass das Erkennen von Schönheit an seiner Beachtung hängt. Das kann ich bestätigen.

Übrigens gibt es in der Natur kein schön und hässlich. Es gibt Harmonien. Und die sind vom kleinsten Teilchen bis in die Weiten des Weltalls immer mit dem Goldenen Schnitt verbunden. Harmonien sind per se schön. Die Hässlichkeit wird tatsächlich ausschließlich von uns Menschen hervorgebracht. Durch Überhebung, Unachtsamkeit und Wut. Das heißt nicht, dass wir Menschen nicht auch Schönheit schaffen. Ich selbst habe als Grafikerin ja einen Beruf, der auf Schönheit setzt. Interessanterweise interessiert mich allerdings schon lange nicht mehr “schnell mal hübsch”. Es geht zwar um schön, aber um Schönheit in all seiner Tiefe und Komplexität. Im Zusammenspiel von Innen und Außen, von Wertigkeit und Sinnhaftigkeit.

Liebe und Schönheit

Annette Schwindt

Genau: Wahre Schönheit hat auch etwas mit Echtheit zu tun. Etwas, das nur oberflächlich ist, kann nicht wahrhaftig schön sein oder werden. Egal, wieviel Schminke man drauf packt. 

Das mit der Ruhe kann ich bestätigen. Der Moment, in dem man Schönheit erkennt, macht einen innehalten. Vielleicht wie eine Art Auftanken? Oder zumindest wie ein Staunen. Wie ich oben schon erwähnte, hat das Erkennen ja auch was mit Achtsamkeit zu tun. 

Mich bringt große Schönheit auch schon mal zum Weinen, wenn auch meist mit Verzögerung. In dem Moment bin ich so gefesselt, dass ich es noch gar nicht verarbeiten kann. Aber wenn es dann erstmal eingesickert ist, dann kommen die bewussten Emotionen, die mich auch überfordern können. Wie eine riesige Welle von Liebe.

Oder ist das am Ende ein und dasselbe? Ist das, was man liebt, schön und umgekehrt? Was meinst Du dazu?

Schönheit und Wahrheit

Jana Schlosser

Was verstehst du unter “große Schönheit”? Kann Schönheit groß oder klein sein? Ist schön nicht per se einfach schön?

Ist Schönheit Liebe? Oder liebt man Schönheit? Wir kommen hier in spannende Gefilde. Aus meiner Sicht ist Liebe schön. Und in der Umkehrung ist das Empfinden für Schönheit mit Liebe verbunden.

Und noch etwas: was ist wahre Schönheit? Ich gehe da gerne auf ein Zitat ein: “Schönheit ist Wahrheit. Wahrheit ist schön.” Das stammt vom Britischen Schriftsteller John Keats und begleitet mich schon eine Weile. Neulich, in einem Gespräch mit dem Regisseur und Sprachcoach Peter Lüder kamen wir auf die Antwort: Da Schönheit ja auch Hässliches oder Altes oder Kaputtes repräsentiert, liegt hinter ihr in ihrer ganzen Bandbreite wohl eher Wahrheit. Denn ein altes, zerknittertes, gelebtes Gesicht sieht nicht weniger schön aus, als ein junges, strahlendes, unverletztes. Schönheit MUSS also dahinter liegen. Schönheit kann dementsprechend nicht künstlich, eitel erschaffen werden. Durch Botox, Hauttransplantation und Fancy Kleidung. Oder doch? 

Jedenfalls bin ich davon überzeugt, dass Schönheit und Wahrheit einander bedingen. Was meinst du dazu?

Echt und unbeschreiblich

Annette Schwindt

Hm…schwierig. Was wahr ist, ist nicht immer schön. Wenn die Wahrheit ein größenwahnsinniger Diktator ist, der Krieg anzettelt, ist das nicht schön.

Und ist, was schön ist, automatisch wahr? Wenn Schönheit künstlich – z.B. virtuell – erschaffen wird, ist sie dann wahr? Oder sind das letztendlich alles Wortklaubereien und Schönheit doch nur subjektiv? 

Was ich mit wahrer Schönheit meine, ist Echtheit, keine Mode, keine Erzwungenheit. Und „große Schönheit“ umschreibt etwas, das größer ist, als dass man es passend in Worte fassen könnte. Groß und tief sind die besten Beschreibungen, die mir dazu in den Sinn kommen… Wenn man vor Schönheit einfach nur noch sprachlos und ergriffen ist.

Danke, dass Du mit mir versucht hast, dieses Thema dennoch in Worte zu fassen.

Über meine Gesprächspartnerin

Jana Schlosser

Entweder richtig oder gar nicht, lautet die Devise von Jana Schlosser. Die selbständige Grafikerin, Gestalterin und Berliner Marke gestaltet Corporate Designs, Websites und Bücher. In ihrer Arbeit geht es immer um den besonderen Kern, den starken Ausdruck und die verborgene Schönheit. – janaschlosser.de

Foto Jana Schlosser: Uwe Paulß 2021
Avatar von Annette: tutticonfetti

In meiner Rubrik „Bloggespräche“ unterhalte ich mich mit einem Gegenüber über ein frei gewähltes Thema wie in einem Mini-Briefwechsel. Wer auch mal so ein Gespräch mit mir führen möchte, findet alle nötigen Infos dazu unter https://www.annetteschwindt.de/bloggespraeche/ und kann sich von dort direkt bei mir melden.


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