„Das war wieder klasse heute!“ freut sich mein Mann Thomas, als die dreiviertelstündige Zoomkonferenz vorbei ist. “Und bei Dir?“ Seit einiger Zeit versuchen wir zusätzlich zu unseren regulären Gesprächen als Sprachpaten bei Little World auch an den wöchentlichen Gruppengesprächen teilzunehmen. Die sind für jeden offen, egal ob man sich schon auf der Plattform registriert hat, oder nicht. Danach muss man einfach gute Laune haben, weil man auf einfachstem Wege etwas bewirken kann und spannende Leute kennenlernt, mit denen man sonst wahrscheinlich nie in Berührung käme.
Little World ist eine Onlineplattform, über die sich deutsche Muttersprachler:innen einfach zum Reden mit Deutschlernenden treffen, die wegen der Arbeit oder Beziehung oder als Geflüchtete aus anderen Ländern nach Deutschland gekommen sind oder demnächst ankommen. Als Sprachpate wird man gemäß seiner Interessen und Zeit fest mit jemandem gematcht. In den Gruppengesprächen trifft man hingegen in Breakout-Sessions zufällig auf andere und lernt so spontan neue Leute kennen. Das ist ideal, um mal reinzuschnuppern, gerade wenn man sich noch nicht entschieden hat, ob man dauerhaft mitmachen will.
Kultureller Austausch digital
Diesen Weg ist mein Mann Thomas zuerst auch gegangen. Inzwischen hat er sich registriert und trifft sich digital einmal pro Woche für 45 Minuten mit einem jungen Software-Entwickler aus der Türkei, der im Moment in Bayern wohnt. Die beiden haben zum Beispiel schon über Karneval geredet, oder worauf man bei Bewerbungen oder beim Kauf eines Autos achten sollte. Und während sein Gegenüber dabei seine mündlichen Deutschkenntnisse verbessert, lernt Thomas etwas über die türkische Perspektive und Kultur kennen.
Gelegentlich kommt er auch weiterhin zu den besagten Gruppengesprächen und ist, wie ich selbst, nachher immer begeistert. Dort hat er zum Beispiel gerade erfahren, dass es in Griechenland nicht nur Aberglauben wegen Freitag dem Dreizehnten, sondern auch wegen Dienstag dem Dreizehnten gibt. Ein andermal hat er sich mit einem litauischen Programmierer unterhalten, der ins Fitnessstudio geht, um dort ganz für sich zwischen all den Mucki-Kerlen mit Kopfhörer auf den Ohren Volkstänze zu tanzen. Währenddessen erzählt mir ein Arzt aus Belarus, wie sehr ihn die Alpen erschrecken, an deren Fuß er jetzt wohnt, weil er in seiner Heimat nie Berge gesehen hat. Ein andermal entdecke ich mit einem kurdischen Rechtsanwalt, der eine spezielle Form der Saz spielt, dass wir beide die türkische Band Mor Ve Ötesi mögen.
Katzenfutter und geklaute Zauberer
Feste Gesprächspartner habe ich inzwischen auch schon drei. Als Erstes wurde ich mit Olena aus der Ukraine gematcht, einer Dozentin für Business-English, die mit ihrer ganzen Familie in Köln lebt. Das hat auf Anhieb gepasst, weil wir uns beide für Sprachen interessieren und einen ähnlichen Humor haben. Wir reden inzwischen schon über neun Monate zweimal die Woche miteinander über alles Mögliche und lachen und weinen auch schon mal miteinander. Ab und zu springt eine ihrer Katzen ins Bild, weil sie gefüttert werden will. Nicht gefuttert! Und das ist nur ein Beispiel für die Situationskomik, die sich manchmal ergibt, wenn wieder mal diese vermaledeiten Umlaute dazwischen kommen. An denen verzweifelt so manche:r der Deutschlernenden.
Manchmal entdeckt man in diesen Gesprächen auch, dass etwas, das man selbst für allgemein bekannt gehalten hat, gar nicht überall auf der Welt zum selbstverständlichen Kulturgut gehört. So kennt Olena den Wizard of Oz beispielsweise als den “Zauberer der Smaragdenstadt”, aber nicht die damit verbundenen Dinge wie zum Beispiel das Lied „Somewhere over the rainbow“. Von der Smaragdenstadt hatte ich wiederum noch nie gehört. Warum das so ist und was es mit dem jeweils anderen auf sich hat, mussten wir dann erst mal recherchieren…
Inzwischen freuen wir uns beide so auf unsere Gespräche, dass es uns richtig die Stimmung verhagelt, wenn uns mal etwas dazwischenkommt…
Rezepte, Supergirl und Einhörner
Mit meiner zweiten Gesprächspartnerin konnte ich aus Termingründen nicht zusammen bleiben, weswegen ich diese Verbindung wieder beendet habe. Und während ich noch überlegte, ob ich mich für jemand Neues melden sollte, begegnete mir Fazal aus Afghanistan in einem Gruppengespräch zum Thema Kochen und Rezepte. Wir haben uns gleich so gut verstanden, dass ich die Community-Managerin Alice darum bat, ihm doch meine Mailadresse zu geben und zu fragen, ob er nicht auch in Kontakt bleiben wolle. Er wollte, und wir fingen an, uns einmal die Woche via Zoom zu treffen.
Dabei lerne ich nun nach und nach seine ganze Familie kennen, angefangen bei der ältesten Tochter, einer aufgeweckten Elfjährigen, an die ich inzwischen meine Jugendbücher weitergegeben habe. Sie ist, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen, vor wenigen Jahren hierher gekommen und spricht inzwischen besser als ihr Vater, ist Klassensprecherin, Schiedsperson in ihrer Schule und wurde gerade fürs Gymnasium empfohlen! Was für ein Supergirl! Wäre die Familie in Afghanistan geblieben, wäre nach der 7. Klasse für sie und ihre kleine Schwester Schluss mit Bildung gewesen… Sie möchte aber Ärztin werden. Ihr kleiner Bruder träumt indessen davon, ein Pilot zu werden und die Jüngste ist gerade schwer mit Einhörnern beschäftigt. 😉
Olena und Fazal habe ich inzwischen zusammengebracht, um dezidiert Sprachaufgaben für die C1-Prüfung zu üben. Dabei besprechen wir entweder Aufgaben aus ihren Kursen oder anderes Vorbereitungs-Material oder ich bastle mit KI eigene Übungen und beantworte einfach nur Fragen so gut ich kann. So haben wir auch schon ein Sprachquiz gemacht, bei dem es um die Präpositionen nach, zu und in ging. All das aber immer mit Spaß an der Sache.
Zungenbrecher, Reinhard May und der FC Bayern
In einem anderen Gruppengespräch begegnete ich Thami, einem jungen Marokkaner, der im Moment noch in seinem Heimatland mit Sprachkurs und Ausbildung für eine Stelle als Pfleger in Deutschland vorbereitet wird. Wie sich herausstellte, wird er sogar in meinem Bundesland eingesetzt werden. Und so haben wir schon einige Pläne geschmiedet, was wir alles zusammen machen wollen, wenn er endlich da ist.
Als ich mit ihm deutsche Zungenbrecher geübt habe, hat er mir einen in marokkanischem Arabisch beigebracht. Als wir über Musik geredet haben, hat er mir Links zu Videos traditioneller und moderner marokkanischer Musik geschickt, und ich habe ihm mit „Über den Wolken“ einen Ohrwurm verpasst. Was Fußball angeht, werden wir uns allerdings nicht einig werden, denn er ist Bayern-Fan, aber ich versuche, tolerant zu sein. 😉 Und obwohl er offiziell erst B1-Niveau hat (er spricht und schreibt VIEL besser als das!) hat er mich gefragt, ob er mit mir auch so ein Bloggespräch machen könnte. Da sind wir jetzt dran.
Zusammen ist es besser
Da ich bei Little World außerdem als Volunteer in der Kommunikation mithelfe, spreche ich auch mit anderen Sprachpaaren. Sie alle berichten das Gleiche: Dass jeweils beide Seiten so viel Interessantes über die Kultur des anderen lernen, wovon sie sonst nie erfahren hätten. Wie sehr sie das bereichert und wie gut es sich anfühlt, die sprachlichen Fortschritte der Deutschlernenden miteinander zu erleben und überhaupt den Alltag des anderen zu teilen. Wieviel besser sich beide Seiten fühlen, seit sie diese Gespräche führen. Viele sehen sich längst nicht mehr nur online, sondern haben sich schon analog getroffen. Bei mir steht das noch bevor, aber lange wird es bestimmt nicht mehr dauern.
Titelgrafik (c) Little World
Disclaimer: Ich wurde für diesen Artikel nicht bezahlt und weder von meinem Gesprächspartner, noch von sonst jemandem bei Little World dazu aufgefordert, ihn zu veröffentlichen. Wenn ich hier im Blog etwas empfehle, dann weil ich es gut finde und eine Geschichte dazu zu erzählen habe. Ich veröffentliche grundsätzlich keine bezahlten Beiträge.
2 Antworten auf „Wenn Fremde Freunde werden“
Wie immer finde ich den Artikel einfach großartig. Danke, liebe Annette! Ich freue mich auch auf die Veröffentlichung unseres Bloggesprächs.
Liebe Annette, was für ein lebendiger Artikel über Deine „kleine Welt“ 🧡Danke von Herzen für diese Einblicke und Dir weiterhin viel Freude auf Deiner ganz besonderen Reise in andere Kulturen mit unterschiedlichen Menschen. Alles Liebe und bis gleich, Ute