Wie ich schon berichtet habe, entdecke ich beim Austausch mit den Deutschlernenden aus aller Welt immer wieder neue Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Besonders spannend finde ich die Details hinter dem sprachlichen Ausdruck. So stellten meine türkische Gesprächspartnerin und ich gestern fest, dass man sich auf Deutsch komplett anders fühlt, wenn man sich langweilt, als auf Türkisch!
Man würde doch annehmen, dass sich etwas so Universelles wie Langeweile bei allen Menschen gleich anfühlt. Aber während wir Deutschen das quasi als zu viel Zeit ohne gerichtetes Tun wahrnehmen, fühlt man sich in der Türkei „zusammengedrückt“. Es entsteht also ein Engegefühl.
Als wir das dann in unserem privaten Gruppengespräch ansprachen (das ich neuerdings mit all meinen vier deutschlernenden Freunden zusammen zusätzlich zu den Einzelgesprächen führe) stellte sich heraus, dass der sprachliche Ausdruck in Pashto (Afghanistan) ähnlich lautet.
Da wir keine Fachperson zu dem Thema zur Hand hatten, habe ich die KI gefragt und folgende Antwort erhalten:
In der Türkei sagt man tatsächlich oft:
“Canım sıkılıyor”
wörtlich: “Meine Seele fühlt sich eng an” oder “Meine Seele wird gedrückt / zusammengedrückt” –
gemeint ist: “Mir ist langweilig.”
Warum sagt man das so?
Die Wendung stammt aus einer tiefergehenden Bedeutung des türkischen Wortes “can”, das nicht nur „Leben“ oder „Seele“ bedeutet, sondern auch das innere Erleben umfasst – also Emotionen, Motivation und Energie. Wenn also jemand sagt:
“Canım sıkılıyor”,
ist das wörtlich: „Meine Seele wird zusammengedrückt“.
Was steckt dahinter?
In der türkischen Sprache und Kultur wird Langeweile nicht nur als Abwesenheit von Beschäftigung verstanden, sondern als seelischer Zustand der Enge oder Beklommenheit. Das Gefühl ist fast körperlich spürbar – eine Art emotionaler Druck oder Beklemmung im Inneren.
Vergleiche dazu andere Wendungen:
- “Canım acıyor” – „Meine Seele tut weh“ (wenn man Kummer hat)
- “Canım istemiyor” – „Meine Seele will nicht“ (wenn man keine Lust hat)
- “İçim daralıyor” – „Mein Inneres zieht sich zusammen“ (wenn man sich bedrückt fühlt)
Kultureller Vergleich:
In westlichen Sprachen wie Deutsch oder Englisch sagt man bei Langeweile eher:
„Mir ist langweilig“ (neutral, sachlich)
„Ich bin gelangweilt“ (Zustandsbeschreibung)
Diese Aussagen sind kognitiver, distanzierter. Die türkische Version hingegen emotionalisiert den Zustand stärker. Es geht nicht bloß um „nichts zu tun“, sondern um ein Unwohlsein in der Seele – eine Enge, die man loswerden möchte.
Daraufhin bot mir die KI noch andere Beispiele solcher kultureller Unterschiede an, über die ich nochmal getrennt schreiben werde.
Bisher hatte ich nur solche Unterschiede gekannt wie
That‘s not my cup of tea. – Das ist nicht mein Bier.
Ich bin gespannt, was meine Sprachpartner zu den anderen Beispielen sagen werden, die ich von der KI bekommen habe!
Titelbild: Open AI
Eine Antwort auf „Langeweile ist nicht gleich Langeweile“
Welche Erkenntnis! Wobei: aus dem Vergleich zwischen Deutsch und Englisch kenne ich einige derartige Beispiele – neben dem von dir schon eingebrachten „Not my cup of tea“ versus „Nicht ein Bier“. Ich bin gespannt auf deine weiteren Beispiele.