Al-Qa-Riesling

von Annette Schwindt

Haben Sie auch schon eine Akte in der Terrordatei? Also unsere Familie hat sicher eine. Demnach wäre ich dann sogar Terrorist in zweiter Generation! Und ich beschränke mich dabei nicht mehr nur auf Deutschland, nee. Der heutige Terrorismus ist ja global. Also habe ich erst mal einen Freund in Norwegen mit in unser Netzwerk genommen. Der schlägt sich jetzt mit der Zollbehörde und dem Gesundheitsministerium herum. Aber ist ja nicht meine Schuld. Wie gesagt, ich bin ja vorbelastet!

Angefangen hat das alles in den Siebzigern. Meine Eltern zogen mit mir von einem Dorf, nennen wir es A, ins Nachbardorf B. Alles ganz geregelt mit Adress- und Fahrzeug-Ummeldung. Doch dann startete die Überwachung. Zunächst in Gestalt der Vermieterin, die es für völlig normal hielt, unsere Wohnung zu inspizieren, wenn wir nicht zuhause waren. Als meine Eltern das spitzkriegten, kam nach wenigen Wochen der nächste Umzug. Zurück ins Dorf A, in dem sie bereits früher gewohnt hatten. Bei all dem Trubel vergaß mein Vater, das Auto wieder von B nach A umschreiben zu lassen.

Soweit so gut. Einige Wochen später erhielt mein Vater einen Anruf vom Polizeirevier in B. Er möge doch bitte persönlich vorsprechen…

Bei seiner Ankunft zeigte ihm ein Polizist einen dicken Ordner: „Das ist Deine RAF-Akte!“, erklärte er meinem völlig verdutzten Vater lachend. Es stellte sich heraus, dass mein Vater, während wir kurz in B gewohnt hatten, wegen zu schnellen Fahrens einen Strafzettel bekommen hatte. Als dieser zugestellt werden sollte, waren wir aber wieder nach A gezogen, so dass die in den Fahrzeugpapieren angegebene Adresse nicht mehr stimmte. Aus unerfindlichen Gründen hatte niemand beim Einwohnermeldeamt oder dem Vermieter nach der neuen Adresse gefragt. Und da der zweite Umzug innerhalb so kurzer Zeit stattgefunden hatte (aktueller Wohnsitz unbekannt!), musste mein Vater doch irgendwas im Schilde führen. Die Akte liegt sicher noch irgendwo im Polizeiarchiv in B (wenn sie nicht schon längst digital erfasst irgendwo in Schäubles Lieblingsspielzeug kursiert).

Das alles hatten wir längst vergessen. Doch dann wollte mich meine Mutter (am 11. September!!!) mit dem Zug besuchen kommen. Freunde, die eine Olivenölfirma haben, hatten ihr einen Fünfliterkanister Öl gegeben, den sie mir mitbringen sollte. Es handelt sich dabei um einen simplen Metallkanister, den man genauso gut für Benzin oder andere Flüssigkeiten benutzen könnte. Aber was da drin ist, sieht man ja von außen nicht. (Sehr verdächtig!) Aus Angst, unter Terrorverdacht zu geraten, wenn sie mit dem Kanister Zug fahren wollte, ließ ihn meine Mutter vorsorglich lieber zuhause. (Eine Flasche Himbeergeist hat sie aber in ihrem Koffer mitgebracht! Ha!)

Mein Mann und ich haben unterdessen das familiäre Terrornetzwerk nach Skandinavien ausgeweitet. Ein Freund in Oslo hatte am Wochenende (vor dem 11. September!) Geburtstag. Also wollten wir ihm was Gutes tun und schickten ihm eine Flasche Riesling von der Ruwer und versprachen ihm (nichts ahnend) etwas „für seine Gesundheit“.

Heute Morgen dann bekam ich eine Mail von besagtem Freund. Er habe einen vierseitigen Brief des Gesundheitsministeriums mit einem dreiseitigen Formular „für den privaten Import von Alkohol“ vom Zoll bekommen. (Er wohnt in Meeresnähe, wo früher die Schnapsschmuggler an Land gegangen sind!) Auf Nachfrage erfuhr er, dass er auch die Post bevollmächtigen könne, alles Notwendige in die Wege zu leiten. Dazu müsse er folgendes faxen:

1. Ein unterzeichnetes Dokument, das die norwegische Post dazu autorisiert, die Zollangelegenheiten für ihn zu regeln.

2. Ein unterzeichnetes Dokument, das die norwegische Post dazu autorisiert, eine Genehmigung vom norwegischen Gesundheitsministerium zu bekommen, im Namen unseres Freundes EINE Flasche Wein zu importieren.

3. ausgefülltes und unterzeichnetes Formular, mit dem er 2. beantragt. Darin müsse er u.a. angeben, ob der Inhalt der Flasche „bis zu 4,7 Prozent“ oder „bis zu 22 Prozent Alkohol enthält“ und um welchen Inhalt es sich genau handelt.

Nachdem ich ihm mit „Kaseler Nieschen, German white wine, 12 Vol% und 750ml“ alle notwendigen Infos am Telefon durchgegeben hatte, warten wir jetzt darauf, ob die Flasche jemals (ungeöffnet?) bei ihm ankommt. Und das alles, nachdem wir bereits an die 40 Euro Porto für das Ganze bezahlt hatten!

Aber hey, ist ja auch Terroristenwein! Das ist halt was Besonders! 😉

Für Pål
Nachträglich nochmal alles Gute zum Geburtstag!
12-09-2007, Nette

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