Digital und real – Annette Schwindt im Gespräch mit Sabria David

Sabria David und ich sprechen ständig über alle möglichen Themen im Zusammenhang mit der Digitalisierung, haben es aber bisher nie für andere zum Mitlesen festgehalten. Zeit, dass das mal geändert wird! 😉 Daher hier ein Gesprächsausschnitt zum Thema „digital und real“ als Anstoß zum Mitdiskutieren:

Für viele Deutsche ist das Digitale immer noch „Neuland“. Was der Netzgemeinde schon lange klar ist, sickert erst so langsam beim Rest der Gesellschaft durch. Menschen, für die die digitale Kommunikation kein selbstverständlicher Teil ihres Alltags ist, glauben daher immer noch gern, dass es sich dabei um eine Art Paralleluniversum handelt, um eine Scheinwelt, die im Gegensatz zum „richtigen Leben“ steht. In Wirklichkeit verschmilzt das Digitale immer weiter mit dem Offline-Alltag und zwar in rasender Geschwindigkeit, bei der selbst Kommunikationsprofis kaum noch nachkommen. Leider gibt es genug solcher Profis, die weiter von Online auf der einen und dem „richtigen Leben“ auf der anderen Seite sprechen. Aber solange diese Unterscheidung in den Köpfen einzementiert bleibt, kann sich doch nichts bewegen. Wie siehst Du das?

Sabria David

Ich höre das auch oft „Aber das ist doch dann gar keine echte Kommunikation!“. Natürlich ist es etwas anderes, wenn man einen echten Menschen mit Haut und Haaren vor sich hat und im Gespräch alle Subtexte – Gesten, Blickverhalten, Stimmtimbre, Geruch – mitlesen kann. Trotzdem lässt sich über digitale Wege auch „echt“ kommunizieren. Wenn ich mich erinnere, dass Du heute einen heiklen Termin hattest und ich frage nach, wie das für dich gelaufen ist – dann zeigt das echte Aufmerksamkeit, egal ob ich dich dafür anrufe, dir eine Direktnachricht auf Twitter schicke oder dich im Supermarkt treffe. Wenn ich jemanden im Netz einen Hornochsen nenne, dann ist das eine Beleidigung – da kann ich mich ja auch nicht darauf zurückziehen und sagen „Kein Grund, sich beleidigt zu fühlen, war doch nur digital!“

Es gibt in der Kommunikation eben nicht nur schwarz und weiß, sondern auch sehr viele Grautöne. Wenn ich mich mit jemandem unterhalte, der zwar körperlich anwesend aber innerlich abwesend ist und immer nur „jaja“ und „mhmm“ sagt, ist das ja auch nicht sehr echte Kommunikation.

Genau. Es kommt weniger auf die Plattform an, als vielmehr darauf, WIE ich dort kommuniziere. Ist ja auch nicht das erste Mal, dass sowas passiert und dass manche Probleme haben, sich an das Neue zu gewöhnen. Als das Telefon neu war, ging es vielen Menschen sicher ähnlich. Heute käme niemand mehr auf die Idee, dass das Telefonieren nicht zum alltäglichen Leben gehört. Auch wenn es Verkaufsanrufe und Telefonbetrüger gibt, würde niemand sagen, dass das Telefon an sich etwas Böses ist. Über das Internet hört man sowas schon öfter. Es ist halt nur so, dass dieser Kommunikationswandel sehr viel schneller voranschreitet und damit auch schneller zu einem gesellschaftlichen Wandel führt, den zu ignorieren gravierende Folgen nach sich zieht… Allen klarzumachen, dass das Digitale Teil des richtigen Lebens ist (und nicht dessen Gegenteil), wäre für mich ein erster Schritt in Sachen Medien-Alphabetisierung der Gesellschaft. Aber wie kann das erreicht werden, wenn sich gerade auch Politik und Wirtschaft so dagegen sträuben?

Sabria David

Ja, „digital literacy“ als Schulfach, das wär mal was! 🙂

Warum eigentlich nicht? Das Bundesland, das Medienkompetenz jetzt offensiv auf den Schulplan hebt, hätte sofort den Grundstein für seine digitale Zukunft gelegt und könnte allen anderen voraus sein. Niedrighängende Früchte, könnte man meinen. Und doch passiert nix. Was meinst Du, warum? Unverständnis? Scheu? Ignoranz? Vielleicht haben sie auch einfach Angst, dass sie viel Geld für Geräte ausgeben müssen?

Dabei heißt digital literacy ja nicht „technische Geräte anschaffen und warten“, sondern „damit umgehen lernen“. Wenn ich digital literacy unterrichten würde, dann würden die Schüler und Studenten bei mir lernen, kollaborative Werkzeuge wie Wikis und Etherpad zu nutzen, Wissen zu teilen, auf Augenhöhe zu kommunizieren, diskursiv und dialogisch zu sein und sich als lernenden Organismus zu verstehen – digitale Kultur halt. Wir würden da schon Schwung reinbringen, oder?

Ha, da ist unser Bildungssystem aber noch weit davon entfernt! Das fängt ja schon damit an, dass es Schulbehörden gibt, die ihren Lehrkräften untersagen, in Facebook ihren richtigen Namen zu verwenden, oder sich mit ihren Schülern zu vernetzen. Dabei bietet Facebook längst eigene Gruppen für Schulen und Unis an. Was die Behörden nicht kapieren: Wenn sie nichts Offizielles anbieten, dann erschaffen es sich die Schüler eben allein. Und dann ist das Geheule seitens der Lehrkräfte groß.

Man kann eben nicht verbieten, was längst zum alltäglichen Leben der Schüler gehört. Digital ist für die nämlich alltäglich! Und vermutlich könnten hier die Lehrer zunächst einmal mehr von den Schülern lernen als umgekehrt. Aber das geht in unserem Bildungssystem ja schon mal gar nicht! Dass das die Fronten bloß verhärtet, haben sie noch nicht kapiert. Ein hoffnungsloser Teufelskreis? Teilt sich die Gesellschaft irgendwann auf ewig in die Vernetzten und die Verweigerer?

Sabria David

 Was Facebook und Lehrer angeht sehe ich das ein bisschen anders: Man weiß nie, wie souverän auf beiden Seiten mit Privatsphäreeinstellungen umgegangen wird. Mit Lehrern „befreundet“ zu sein öffnet Tür und Tor zu Distanzlosigkeit. Das ist eine Vermischung, die ich für ganz schwierig halte. Es gibt ja viele Menschen, denen es an Rollenklarheit fehlt, das ist im Schüler/Lehrer-Verhältnis besonders heikel.

Allerdings vermisse ich auf den Lehrplänen kollaborative Tools, Wikis, Etherpad, Google Docs. Wieso den Schülern nicht in der Schule beibringen und sie üben lassen, wie man gemeinsam einen Text schreibt? Wieso nach einer Facheinheit nicht zusammen einen Wikipedia-Artikel zum Thema editieren? Das sind alles Zukunfts-Kulturtechniken!

Richtig. Und natürlich müssen die an Schulen gelehrt werden. Aber ist es damit getan? Muss nicht die Gesellschaft an sich digital alphabetisiert werden? Immerhin nutzen ja inzwischen Menschen jeden Alters die sozialen Netzwerke. Nur leider wissen sie eben oft nicht, was sie da tun. Wie kann dem abgeholfen werden? Oder passiert das schon, indem alles in Apps portioniert angeboten wird, die immer intuitiver zu bedienen sind? Und passen sich da die Werkzeuge den Menschen an oder die Menschen den Werkzeugen? Spätestens da muss doch jedem klar werden, dass digital längst real ist.

Diskutieren Sie mit! Wir freuen uns auf Ihre Kommentare! 🙂

Über meine Gesprächspartnerin:

Sabria David

Sabria David ist Medienforscherin. Sie ist Mitgründerin und Leiterin des Slow Media Instituts, Mitverfasserin des Slow Media Manifests und der Declaration of Liquid Culture. Sie entwickelte das „Interaktionsmodell Digitaler Arbeitsschutz“ (IDA) und gehört zum Präsidium von Wikimedia Deutschland.  (Fotografiert von: Anja Krieger)


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13 Antworten auf „Digital und real – Annette Schwindt im Gespräch mit Sabria David“

Den Aussagen kann ich fast gänzlich zustimmen, bis auf die eine Aussage in der Frage, dass sich die Wirtschaft dagegen sträubt. Das stimmt mitnichten. Die Wirtschaft wird allerdings auch durch die Politik ausgebremst.

Richtig gut fand ich Sabrias Antwort auf die Frage zum Umgang mit Facebook bei Schülern und Lehrern. Ich bin der Meinung, dass Facebook das völlig falsche Tool ist. Ich würde jeder Schule strikt davon abraten, Facebook, etwa in Form von Gruppen, für kollaboratives Lernen zu verwenden. Das geht schon rein datenschutzrechtlich gar nicht. Sie nennt die richtigen Tools, die da verwendet werden sollten. Aber bitte nicht Facebook.

Gute Gedanken. Doch woher bekommen wir Lehrerinnen und Lehrer, die nicht schon beim Anblick eines Computers in Schreckstarre (oder schlimmeres) verfallen?
Wie bekommen wir den Gedanken in den Köpfen der Kultuspolitiker und Beamten in den Ministerien und Schulverwaltungen gedreht, daß „dieses Internet“ grundböse ist?

Sabria David:
„Wenn ich digital literacy unterrichten würde, dann würden die Schüler und Studenten bei mir lernen, kollaborative Werkzeuge wie Wikis und Etherpad zu nutzen, Wissen zu teilen, auf Augenhöhe zu kommunizieren, diskursiv und dialogisch zu sein und sich als lernenden Organismus zu verstehen – digitale Kultur halt.“
Sehr optimistisch!
Probieren Sie es mal aus.
Mir ist es in Workshops bisher eher selten gelungen Teilnehmer dazu zu bringen überhaupt mal mehr als einen Satz in einer Etherpad zu schreiben, wenn es sich nicht um ausgewiesene Nerds handelt, die diese Mittel ohnehin verwenden.

So lange die Menschen immer noch denken – und viele sind davon nicht abzubringen – man könne da „was kaputt machen“, wird sich diese Scheu nicht legen.

Gute Gedanken, die in dem Gespräch zum Ausdruck kommen.
Aus Erfahrung bin ich verhalten pessimistisch.
Meine Prognose: Wir werden zunächst eine elitäre Onlinekaste bekommen, deren digitale Überlegenheit von der breiten Masse nur sehr langsam einzuholen sein wird.

Vor gar nicht so langer Zeit war ich nur real und nicht digital unterwegs. Solange bin ich noch nicht dabei und bin täglich gespannt über die Neuigkeiten und News von Freunden und der Welt. Am Anfang war ich recht skeptisch, ob es sich lohnen würde meine Zeit in soziales networking zu stecken. Ich erinnere mich daran wie eine Freundin sagte, als sie meinen zweifelnden Gesichtsausdruck sah: „Du wirst sehen, es wird Dir gefallen!“ Sie sollte recht behalten.
Einige Freunde sind tatsächlich nicht gewillt mehr zu tun, als ihre Daten in Xing zu hinterlassen. Sie scheuen die Datenkrake Facebook. Dafür sind sie dann aber zähneknirschend in Whatsapp, um nicht außen vor zu sein.
Für viele meiner berufstätigen Freundinnen mit schulpflichtigen Kindern ist es auch ein Zeitfaktor, noch eine Baustelle in Ihrem Leben mit einer schon überlaufenden to do Liste aufzumachen. Es sind fast 70% meiner Freundinnen, die sich lieber verabreden möchten, als nur unpersönliche posts und reposts von mir zu lesen. Das kann ich gut verstehen. Das ist auch verbesserungswürdig und ersetzt keine Verabredung. Aber es ist einer der vielen Kanäle auf denen wir immer mal wieder nebenbei spontan und zeitlich unabhängig voneinander kommunizieren könnten. Natürlich braucht digitale Kommunikation Zeit, aber Kommunikation benötigt immer Zeit, ob real oder digital.

Ich glaube, es spielt bei den verschiedenen Formen der Kommunikation auch eine große Rolle, ob man sich dabei mit dem Herzen mit dem anderen verbindet. Ein „reales“ „Hallo, wie geht es dir?“ mit verschlossenem Herzen und einem abgelenkten Bewusstsein ohne wahrhaftes Interesse erreicht den anderen viel weniger als ein aufrichtiges, offenherziges „Wie geht es dir?“ über das Internet. Denn das, was uns wahrhaft miteinander verbindet, überwindet auch Zeit und Raum. Warum sonst ruft uns so oft ausgerechnet der Mensch an oder schreibt einem, an den man gerade intensiv gedacht hat? 😉

ich bin 89 Jahr alt und sage das nur, weil ich damit andeuten will, dass ich den Weg bis ins digitale Zeitalter von Anfang an mitgegangen bin. Dem in „digital und real“ Gesagten kann ich nur zustimmen. Mein Leben habe ich – da ich gehbehindert bin – „digital organisiert“, bin bei Facebook und anderen Netzwerken und arbeit als einer der Autoren der Bibliothek der Alten n Frankfurt an einer zeitgeschichtlichen Arbeit. Ohne die digitale Vernetzung könnte ich das alles nicht bewältigen.
Meinen Altersgenossen und auch allgemein versuche ich klar zu machen, dass die Trennung „real“ und „virtuell“ Unsinn ist, weil das Netzwerk und alles was damit zusammenhängt eben auch Realität ist.
Was aber nicht genügend gelehrt wird,ist der Umgang mit dem Netzwerk. So brauche ich nicht mehr, wie vor 80 Jahren, meinen Kopf mit Daten vollzustopfen, die ich nun mühelos abfragen kann, sonder man muss lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Wobei ein gewisses Allgemeinwissen – das „gewusst wo“ wieder wichtiger wird, als Detailwissen.
Paulus Peternell.

„Allerdings vermisse ich auf den Lehrplänen kollaborative Tools, Wikis, Etherpad, Google Docs. Wieso den Schülern nicht in der Schule beibringen und sie üben lassen, wie man gemeinsam einen Text schreibt?“

Naja, damit wären wir wieder beim Geräte kaufen. Kleines Rechenbeispiel: An meiner Schule (staatl. Gymnasium in der Region) gibt es zwei größere PC-Räume, einen mit 12 Plätzen, den anderen mit 20. Die Klassen sind idR größer, in meiner 9 in Deutsch sitzen 28 Nasen. Bei uns lernen die SchülerInnen also sowieso schon, wie man kollaborativ arbeitet, das geht von ganz alleine 😉 Und die LehrerInnen ebenso, denn die Räume muss man sich im Voraus für Unterrichtsvorhaben reservieren. Ein paar Laptops und Beamer zum Ausleihen für Powerpoints gibt es auch noch, WLAN gibt es keines, die Stadt als Schulträger hat das „aus rechtlichen Gründen“ untersagt.

Mal ganz ohne Sarkasmus wird also klar: Wirklich arbeiten kann man mit dem vorhandenen Equipment nicht. Und auf das der SchülerInnen möchte ich aus Fairness-Gründen nicht zurückgreifen, da sind bei Weitem nicht alle ausgestattet. Ein Smartphone hat zwar fast jeder, aber Datentarife dann wieder nicht. Von privaten Laptops ganz zu schweigen, das ist noch lange nicht die Regel. Zudem gibt es Eltern, die zuhause das WLAN zu bestimmten Zeiten abschalten, damit die SchülerInnen sich auf ihre Hausaufgaben konzentrieren.

Und die Skepsis gegenüber „digital“ wächst eher noch, sowohl bei Eltern als auch KollegInnen – befeuert durch klasseninterne Whatsapp-Gruppen, in denen in letzter Zeit heftigst gegen einzelne SchülerInnen gemobbt wurde. Gerade bei den Kleinen (5-8. Klasse) ist das ein Riesenproblem, denn niemand erzieht die Kids zu Medien- und SOZIALkompetenz (das gehört imo zusammen).

Da fühlt man sich als internetaffiner Lehrer schon arg auf verlorenem Posten. Die Schule ist in vielen Fällen immer noch ein analoger Offline-Raum.

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