Timmo Strohm: Digitalisierung richtig nutzen, nicht missbrauchen

Bitte stelle Dich kurz vor:

Ich bin Timmo Strohm, Webdesigner und SEO. Ich hab ne winzige Internet-Agentur und ne schwere Literatur-Sucht. Ich arbeite in Ravensburg und schaffe gern mit Künstlern im Netz zusammen. Außerdem bin ich geldfreier Autor.

Was motiviert Dich dazu, an der Interviewreihe teilzunehmen?

Hm, Annette Schwindt hat mich gefragt.

Wie digital ist Dein Leben derzeit und wie hat es sich dahin entwickelt?

Naja, ich konsumiere extrem viel Bücher, Artikel und Filme. Da ich Fremdsprachen mag, war ich schon immer scharf darauf, Lesefutter in unterschiedlichen Sprachen zu kriegen. Das führte dazu, dass ich früher auf Auslandsreisen Second-Hand-Buchläden plünderte und mit riesigen Taschen voller Papier, an denen ich mir schier nen Bruch hob, aus England zurückkam, Comics in Fremdsprachen sammelte usw. Freunde hassten es, wenn ich umzog, weil nichts schwerer ist als eine drecks Kiste voll mit Timmos nach Staub stinkenden Büchern. Als Schüler war ich eine Zeitlang in einem Gefängnis, das sich „Internat“ nannte, und in dem allen Ernstes keine richtige Bibliothek vorhanden war. Ich konnte kaum Bücher mitnehmen (man hätte auch kein Regal dafür gehabt). In meiner Verzweiflung begann ich, Minibücher zu sammeln und Texte auswendig zu lernen, was ich mir als Hobby bis heut behalten hab.

Die Digitalisierung hat alles total verändert. Morgens kann ich Zeitungen in jeder Sprache, deren ich nur ansatzweise mächtig bin, anschaun. Ich habe mehrere hundert Bücher in verschiedenen Sprachen auf dem E-Book-Reader, ich höre beim Einschlafen Hörbücher oder lese, wenn jemand neben mir im Bett liegt, den schwach leuchtenden Reader, ohne Schätzle aufzuwecken. Beste Methode, um schnell und ohne Grübeln wieder einzuschlafen.

Meine digitale Bibliothek ist nun größer als meine „reale“, was nicht heißt, dass ich Bücher auf Papier nicht mehr schätze. Ich hab zahllose Klassiker im PC. Das erste Buch, das ich je digital hatte, war Shakespeares Gesamtwerk. Neulich fand ich Molières Gesamtwerk. Sowas ist für mich wie’n Lottogewinn. WikiPedia und die Online Lexika sind für mich unverzichtbar geworden, im Beruf, aber auch im täglichen Leben. Der einzige Reichtum, der mich je interessiert hat, war Informations-Reichtum. Und diesbezüglich haben sich meine Möglichkeiten ins Unendliche erweitert, schöner und großartiger, als ich es mir je hätte träumen lassen.

Zudem publiziere ich viel Selbstgeschriebenes in mehreren Blogs, und dazu mal kurz eines: einfach grässlich find ich diese Autor/innen, die sich ein Publikum einfangen und es dann mit ihren lausigen Texten quälen. Da finde ich die elektronische Publikation unendlich besser: der Text findet seine Leser, oder eben nicht. Aber im Pull-Medium – und das sollte Literatur sein – entscheidet eben der Leser als unumschränkter Herrscher, und das ist die Demokratie des Textuniversums. Wenn fremdbestimmt wird, was man lesen muss, ist das ekelhafte Diktatur. Das Internet ist hier sehr gerecht, und Texte, die viele Clicks generieren, sind es … meist … wert, dass ich sie zumindest anschau.

Was findest Du besonders interessant und spannend an der Digitalisierung?

Hm, wie die Menschheit damit umgeht. Nach einer kurzen Phase, in der es aussah, als ob Informations-Freiheit für alle käme, griffen die Desinformierer an. Das menschliche Gehirn ist ein unglaublich fruchtbarer Boden für ideologisches Unkraut, wenn man es ausreichend mit Schei… düngt. In diesem Bereich arbeite ich mit meinen geringen Möglichkeiten dagegen und finde Öffentlichkeits-Arbeit einen absolut faszinierenden Bereich. Meine spannendste Tätigkeit ist der Versuch, fair und ehrlich zu werben. Wie man Extremisten von ihrem Ast zurückholt, ist ein interessantes Arbeitsfeld.

Was findest Du bedenklich am Umgang mit der Digitalisierung?

Digitalisierung ohne doppelte Buchhaltung. Will sagen, wenn auf Zweitmedien wie Print, Archive, Laborproben usw. verzichtet wird, weil man ja alles ach so praktisch auf Festplatte und in der Datenbank hat. Das ist zwar vom ZUGANG her super, aber von der BESTANDS-SICHERHEIT eine absolute Katastrophe. Totalitäre Regimes brauchen heutzutage gar keine Bücher mehr zu sammeln, um sie zu verbrennen. Die können mit einem Tastendruck mehr Kulturschaden anrichten als alle Bibliotheksbrände der Weltgeschichte zusammengenommen. Ansätze dazu sehen wir beim digitalen Grundbuch – ich spreche mit Juristen, die das für extrem bedenklich halten. Was, wenn da ein Virus kommt? Auch, dass Forscher in den USA ihre Daten panisch nach Europa auslagerten, als Trump ans Ruder kam, spricht Bände. Kleiner Praxistipp: wer wissen will, ob er in einer Demokratie lebt, muss nur schauen, ob lokale Datenspeicherung (also das Vorhalten beliebiger Datenmengen im Privatbereich) noch erlaubt und technisch möglich ist.

Was glaubst Du, wie sich die Digitalisierung weiter entwickeln wird?

Ich seh gleich mehrere Crashs kommen. Wenn die Totalitären mal wieder ein weltgeschichtliches Zwischenspiel mit Krieg und all den netten Nebenerscheinungen durchziehen… die Menschheit braucht das ein- bis zweimal pro Jahrhundert… wird die Frage sein, wieviel der kostbaren Informationen wir in die Zukunft retten können.

Können diejenigen mit dem Thema Digitalisierung versöhnt werden, die sich von ihr bedroht fühlen?

Klar. Das ist mein täglich Brot, ich geb ja Computerkurse. Da ist die Gefahr mehr, dass die Ängstlichen dann ins andere Extrem umkippen und plötzlich alles unhinterfragt mitmachen. Diese „DasIstJaGanzEinfach“-Begeisterten sind es, die besonders verführbare Opfer sind, für die Facebook zur Religion und die KommerzCloud zur Atemluft wird, ohne dass sie an Schäden und Gefahren denken. Solche Leute opfern für ihre scheinbare Bequemlichkeit ganz schnell ihre Privatsphäre, ihre Datensicherheit und Unsummen sinnlos rausgeschmissenen Geldes.

Wie kann man die Menschen dazu bringen, sich mit dem Thema Digitalisierung aktiv auseinander zu setzen?

Leider meist nur durch nen Crash. Ich hab Kunden, die einfach regelmäßig Schaden erleiden müssen, weil sie immer nur so viel Reparatur zulassen, bis das Problem dieser ersten Sekunde gerade mal überwunden ist. Ich hab Kunden verloren, weil ich gesagt habe, die Lösung sei nur kurzfristig und darum unbrauchbar. Es ist, als ob diese Leute nen Zug fahren und den Stein, der aufm Gleis liegt, per Kran hinter die nächste Kurve befördern lassen. Er liegt dann zwar immer noch aufm Gleis, aber im Moment sieht man ihn nicht mehr und erstmal gehts weiter. Erst, wenn sie das Muster mal selbst sehen, tut sich was…

Gibt es noch etwas, das Du schon immer zum Thema Digitalisierung sagen wolltest?

Es gibt ein lateinisches Axiom, das alle Asterix-Leser kennen, und das viel Tiefe hat: UTI, NON ABUTI. Dass man Werkzeuge gebrauchen, aber nicht missbrauchen soll, ob es sich nun um das Feuer, den Rundfunk oder die Digitalisierung handelt – das ist ein Kriterium. Es unterscheidet Kulturen. Idiotische Kulturen fackeln den Wald ab, vernünftige bauen Meiler, Schmiede-Essen und Feuerstellen.

Mein Abschiedsgruß ist der, mit dem sich jedes Buch und jedes Gedicht bedankt:
Danke fürs Lesen.

Vielen Dank für Deine Antworten, Timmo!
Foto: Timmo Strohm


Diesen Beitrag weitersagen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert