Inklusion heißt selbstverständliches Miteinander

Vor einigen Jahren besuchte ich mal anlässlich der Paralympics eine 6. Klasse an einem der hiesigen Gymnasien, um mit ihnen über das Thema (Mobilitäts)Behinderung zu sprechen. Ich erzählte ihnen von verschiedenen Arten wie man in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt werden kann, wie man damit lebt und von ganz alltäglichen Begebenheiten, mit denen man sich als Mensch mit körperlichen Einschränkungen so herumzuschlagen hat. Nachdem alle noch eine Runde Rollstuhl geschoben oder gefahren hatten, um auf bauliche Barrieren aufmerksam zu werden, schickte die Lehrerin den Klassensprecher nach vorn zu mir, um ein offensichtlich einstudiertes Dankeschön abzuspulen. Darin fielen die Worte: „Vielen Dank, dass Sie uns einen Einblick in Ihre Welt gegeben haben.“ – Ich war wie vor den Kopf gestoßen. „Es gibt nicht meine und deine Welt! Das ist alles dieselbe!“, versuchte ich ihm zu erklären. Genau darum geht es doch gerade beim Thema Inklusion! Alle gestalten die Gesellschaft gleichbereichtigt miteinander! Ich weiß, ich habe noch versucht, das der Klasse zu verdeutlichen, aber die Wohlfahrtseinstellung der Lehrerin hatte sich bereits festgesetzt…

Mit Erwachsenen begegnet mir dieses „hier wir und die Behinderten woanders“ immer wieder. Als ich kürzlich in einer Gruppe mit einigen Menschen mit und einigen ohne Behindertenausweis unterwegs war, kam das Gespräch auf bauliche Barrieren. Und wieder wurde das Beseitigen derselben als Gutwillaktion der Gesellschaft (= grundsätzlich nichtbehindert) gegenüber den „anderen“ dargestellt, um diese in die doch so offene Gesellschaft hineinzuholen. Schließlich müsse man ja was für die Inklusion tun. – Als ich darauf hinwies, dass es eben genau keine Inklusion ist, solange dieses „hier wir und da die anderen“-Denken bestehen bleibt, wurde die Diskussion recht heftig. Man fühlte sich auf den Schlips getreten, wo man sich doch grade so inklusiv geäußert habe. Ich wurde auch sauer, weil es keine Bereitschaft gab, das eigene Denkmuster in Frage zu stellen.

Das Schlimme ist, dass viele Menschen das auch nicht tun, wenn sie selbst oder jemand Nahestehendes durch einen Unfall o.ä. plötzlich von der einen in die andere Gruppe wechselt. Dann gehört der jetzt eben auch zu „den anderen“, was ja eigentlich auch gut ist, denn da ist er „unter seinesgleichen“. Hält jemand mit so einem weiter ein normales Verhältnis aufrecht, dann ist es „so rührend, wie der sich um ihn kümmert“. Ich weiß bei solchen Phrasen nicht, ob ich schreien oder weinen soll. Da war gerade noch jemand ein Freund und dann ist er es plötzlich nicht mehr?

Für mich gab es dieses Denken von getrennten Gruppen nie und ich habe es auch noch nie verstanden. Ich bin mit Menschen aus verschiedenen Ländern, verschiedenen Lebensgeschichten, Bildungsstufen und verschiedenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten aufgewachsen. Die hätte ich vielleicht in Jung und Alt unterschieden, oder in Mann und Frau. Aber diese als nicht gleichberechtigt anzusehen oder jemanden in eine andere Gruppe zu stecken, weil er schlecht sehen oder hören kann, anders kommuniziert,  oder sich anders fortbewegt als ich…? Wieso? Im Gegenteil fand und finde ich alles mir Unbekannte erst mal spannend und möchte herausfinden, was wir miteinander gemeinsam haben und wo wir etwas voneinander lernen können. Denn wir sind doch alle Menschen! Und emotionales Kommunizieren geht immer!

Umso mehr versuchen wir, vor allem mit den Kindern in unserer Familie von vornherein ein möglichst unbefangenes Verhältnis zu pflegen. Bisher haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Wenn sie klein sind, finden sie sowieso alles Neue grundsätzlich spannend. Wenn sie älter werden und ihre Umgebung zu hinterfragen beginnen, versuchen wir, diese Fragen so altersgerecht wie möglich zu beantworten. Und so hat keines von ihnen bisher eine Scheu oder Fremdheitsgefühle entwickelt. Ich hoffe, sie können sich diese Offenheit beibehalten und andere damit anstecken.

Denn solange dieses Denken von „hier wir und da die anderen“ (egal in welcher Richtung) bestehen bleibt, kann ein gleichberechtigtes Miteinander nicht funktionieren. Schaut doch lieber auf das, was Euch verbindet und macht was daraus! Es gibt so viel zu entdecken!

Foto © Annette Schwindt


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