Über Vereine –  Ein Bloggespräch mit Falk Golinsky

Meinen heutigen Gesprächspartner habe ich im Dezember 2023 als Moderator  der #netzwerkliebe kennengelernt, zu der mich Anna Koschinsky eingeladen hatte. Dabei erwähnte er, dass er u.a. als Berater mit Vereinen arbeitet, was mich dann auf die Idee brachte, ihn zu diesem Bloggespräch einzuladen:

Annette Schwindt

Hallo Falk, ich freue mich, dass Du Dich gleich damit einverstanden erklärt hast, Dich mit mir hier über das Thema Vereine auszutauschen. Ich bin sehr gespannt, was Du dazu zu sagen hast. 

Wenn man das Wort Verein hört, klingt das ja erst mal etwas altbacken. Es sei denn, es geht um große Sportvereine wie im Fußball. Aber sonst assoziiert man mit dem Begriff eher Kneipenrunden und zähe Tagesordnungen. Hier im Rheinland vielleicht noch Karnevalsvereine. Und dann natürlich an Loriots Vereinssitzung! Entspricht das noch dem modernen Bild eines Vereins?

Vielfalt der Vereinsthemen 

Falk Golinksy

Hallo Annette, vielen lieben Dank für die Einladung zu diesem Gespräch. Ich habe mir das Video von Loriot gleich mal angesehen und muss jetzt echt schmunzeln. Es gibt in Deutschland eine Vielzahl von unterschiedlichen Vereinen. Klar, uns fällt immer gleich der Sportverein oder der Gartenverein ein. Ich möchte nicht ausschließen, dass es bestimmt irgendwann mal bei irgendeinem Verein wie bei Loriot war. Doch der moderne Verein sieht heute ganz anders aus.

Was mich bei der Vereinswelt immer wieder fasziniert, ist die Vielfalt der Themen. Das kann alles sein, vom Sport zur Kultur, der Lebensrettung, psychologischen Hilfen oder für Eltern mit zu früh geborenen Kindern. Da ist alles dabei. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Trotz der Vielfalt, haben Vereine sehr ähnliche Herausforderungen, wie jede andere Organisation auch, nur mit ein paar anderen Ausprägungen.

Die Frage ist natürlich, was einen modernen Verein ausmacht. Was würdest du denn auf diese Fragen antworten?

Negative Erfahrungen

Annette Schwindt

Gute Frage. Mir fallen irgendwie nur mehr oder weniger negative Beispiele ein, die mich reichlich enttäuscht zurückgelassen haben. 

Ich hab schon öfter versucht, mich mit Gleichgesinnten zu einem Thema zusammen zu tun. Aber es scheiterte früher oder später immer daran, dass die meisten sich entweder nur halbherzig engagiert haben (Stichwort: “das ist ja nur ehrenamtlich”) oder mit zuviel Geltungsbedürfnis aufgetreten sind (der Posten und den zu behalten war wichtiger als die Sache). Deswegen bin ich gerade etwas ratlos, was Deine Frage angeht.

Wenn ich mir wünschen sollte, wie ein Verein sein soll, dann würde ich sagen, dass die Beteiligten der Sache wegen engagiert zusammenarbeiten und das Thema so unter die Leute bringen, dass auch andere etwas davon haben. Das Ganze inklusiv, ohne Postengeschacher und Ego-Streitereien und mit sinnvoller Nutzung der digitalen Möglichkeiten. Aber das ist vermutlich utopisch, oder?

Verein muss auch organisiert werden

Falk Golinksy

Du hast da grundlegend ein gutes Gefühl, wie es aus deiner Sicht sein könnte. Lass uns das mal ganz theoretisch kurz anreißen. Wenn sich Menschen zusammenfinden, weil sie gern ein Thema weiter voranbringen wollen, dann können sie es in unterschiedlichster Weise tun. 

Nehmen wir mal an, wir beide wollen das Thema Bloggen weiter gestalten, dann können wir das einfach tun. Nun finden wir im Laufe der Zeit eine Menge Menschen, die sich uns anschließen. Wir bieten Workshops an und planen eine Konferenz. Auf einmal stellen wir fest, dass wir dem ganzen einen organisatorischen Rahmen geben sollten, weil unser Engagement Kosten verursacht und irgendjemand offizielle Verantwortung übernehmen muss. Das ist dann der Moment, in dem viele über eine Vereinsgründung nachdenken. 

Wenn wir ins BGB schauen, dann ist der Verein eine juristische Person. Das bedeutet, dass der Verein Träger von Rechten wird. Das heißt, dass der Verein weiter existiert, auch wenn wir beide keine Lust mehr auf das Thema haben und aus dem Verein aussteigen.

Jetzt haben wir unseren Verein gegründet und es liegt an uns, wie wir ihn organisatorisch ausgestalten. Und genau das wird oft vergessen. Ein Verein wächst und muss gemanagt werden. Da ist es ganz normal, dass dies Wachstumsschmerzen verursacht. Die meisten Probleme sind hausgemacht, weil die Personen die Erwartungen nicht klar formulieren und sich über scheinbare Selbstverständlichkeiten nicht unterhalten. Nun ist es an der Zeit, über Struktur und/oder Regeln nachzudenken. Dazu habe ich einen Artikel veröffentlicht, den du auf meinem Blog findest. Hast du Lust, mal reinzulesen? Du findest ihn hier. Was denkst du nun?

Sind Vereine veraltet?

Annette Schwindt

Ganz ehrlich? Das klingt ja in der Theorie alles schön und gut, aber in der Praxis habe ich das so noch nie erlebt. Da waren es immer ein paar wenige, die sich wirklich engagiert haben, dann noch die, die sie verlässlich für konkrete Arbeiten dazuholen konnten, und der Rest hat das Ganze nur mit dem Beitrag unterstützt. Feiern wurden gern mitgenommen, Versammlungen wurden eher als Vorstandstreffen angesehen. Und der hat sich erst dann verändert, wenn einer der Vorstände ausgefallen ist. 

Aktuell steht ein Verein, den ich kenne, vor dem Aus, weil sich nicht mal genug Leute für den Vorstand finden. Ein anderer, neu gegründeter, schafft die Anerkennung der Gemeinnützigkeit schon im soundsovielten Anlauf nicht, obwohl es um ein wichtiges, durchaus die ganze Gesellschaft betreffendes Thema geht. Generell erlebe ich Vereine als sehr unbewegliche Gebilde. Entweder man macht mit, so wie es schon immer gemacht wurde, oder man ist nicht erwünscht. Und digitale Teilnahme kannst du gleich ganz vergessen. Also inklusiv geht anders…

Vielleicht ist ja die Form des Vereins an sich schlichtweg veraltet? 

Ehrenamtliches Engagement

Falk Golinksy

Da hast du bislang eher schwierige Erfahrungen mit der Vereinswelt gemacht. Die Vereinswelt ist immer ein Spiegel unserer Gesellschaft. So gibt es auch Unternehmen, in denen ebenfalls die Zusammenarbeit schwierig ist. Was die Gemeinnützigkeit angeht, gibt es ganz klare Voraussetzungen, die einzuhalten sind. Hier kann es je nach Bundesland schon mal unterschiedliche Auslegungen geben. In einigen Bundesländern ist es tatsächlich schwerer, die Anerkennung als gemeinnütziger Verein zu erhalten. Zur Not hilft hier der Weg zu einem speziellen Anwalt. Ich kenne rein zufällig den besten auf diesem Gebiet. Nein, ich bin es nicht. 😉

Lass uns doch mal auf die positiven und beeindruckenden Seiten der Vereinswelt schauen. Für mein Buch „Moderne Vereinsorganisation – Vereinsmanagement leicht gemacht“ wollte ich wissen, wie viele Menschen sich ehrenamtlich engagieren. Im Jahr 2014 waren es 43,6 % der Bevölkerung. Und davon engagieren sich rund 47 % in Vereinen. Das ist doch beeindruckend, oder? Bei dieser enormen Zahl an Vereinen, gibt es viele tolle und moderne Vereine.

Ich habe Menschen kennengelernt und begleitet, die ehrenamtlich einen Verein managen, der das finanzielle Volumen eines mittelständischen Unternehmens wuppt. Stellenweise gehen die Zahlen schon fast Richtung eine Million. Das ist keine Seltenheit im Sport. Dabei steht das Geld natürlich nicht an erster Stelle, sondern immer die Leidenschaft für das Thema des Vereins.

Immer mehr Vereine nutzen die Gunst der Stunde, bilden sich fort und nutzen digitale Tools für die Zusammenarbeit und zur Förderung der Flexibilität. Erst Ende 2023 habe ich einen Kulturverein dabei begleitet, Trello für das Aufgabenmanagement im Verein zu nutzen. Mit diesem Tool haben sie jetzt deutlich mehr Klarheit über ihre Aufgaben, Transparenz und Informationen in Echtzeit. Das setzt voraus, dass das Team gemeinsam Regeln der Zusammenarbeit erarbeitet. Das haben wir gemeinsam gemacht. Jetzt denken viele, das ist doch nur was für jungen Menschen. Das ist nicht so. In dem Verein ziehen alle mit, egal welches Alter. Es macht immer wieder Spaß zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln, das mag ich so an meinem Job. Oft bin ich derjenige, der das Vertrauen in den Prozess vermittelt, dass der Verein den Lösungsweg findet, der zu ihm passt. Das setzt eine gewisse Offenheit für Veränderung voraus.

Ich habe das Glück, schon seit vielen Jahren auf solche tollen Entwicklungswege von Vereinen schauen zu können. Also, lass dich nicht entmutigen. Der Verein als solcher hat noch lange nicht ausgedient. Es sind immer die Menschen, die die Zusammenarbeit gestalten.

Wie denkst du nun über das Thema?

Wandel der Vereinslandschaft 

Annette Schwindt

Wieso entmutigen? Man kann sich ja auch ehrenamtlich engagieren, ohne Mitglied in einem Verein zu sein. 

Laut Wikipedia gab es

„in Deutschland rund 600.000 Vereine. Seit den siebziger Jahren hat sich deren Anzahl damit verfünffacht. Bei den Mitgliederzahlen indes zeigt sich ein gegenläufiger Trend.“

An anderer Stelle heißt es, dass inzwischen Fördervereine die Vereinslandschaft dominieren und

„Die Zahl der Löschungen war in den vergangenen zehn Jahren recht stabil. Vielmehr zeigt sich, dass es einen deutlichen Rückgang bei den Neueintragungen gibt. […] Es ist zu erwarten, dass aufgrund der rückläufigen Neueintragungen und der konstanten Zahl an Löschungen die Gesamtzahl eingetragener Vereine in den kommenden Jahren insgesamt sinken wird.“

Bei den Neueintragungen gibt es außerdem laut derselben Quelle einen 

„inhaltlichen Wandel, demzufolge neue Organisationen häufiger in den Bereichen Bürger- und Verbraucherinteressen, Bildung und Erziehung, internationale Solidarität und gemeinschaftliche Versorgungsaufgaben aktiv sind, seltener jedoch  in klassischen Bereichen wie Sport, Freizeit oder Geselligkeit. Damit verbunden wird auch ein Wandel des Selbstverständnisses von Organisationen, wonach sich diese inzwischen häufiger als Interessenvertreter und Dienstleister verstehen, seltener hingegen als gemeinschaftsbildend. Indizien gibt es zudem für einen organisationsstrukturellen Wandel, da die Digitalisierung verstärkt netzwerkartige Formen der Selbstorganisation befördert.“

Demnach ist der traditionelle Sport- oder Schützenverein ein Auslaufmodell. Was denkst Du, wie kommt das?

Neue Themen und Angebote

Falk Golinksy

Die Frage ist doch, was verstehen wir unter den traditionellen Sport- und Schützenvereinen? Die letzten Jahre haben neue Sportarten hervorgebracht. Auch E-Sport zählt mittlerweile dazu. 

Es ist in der Vereinswelt wie in der Unternehmenswelt. Die Themen entwickeln sich weiter. Neue Themen und damit Organisationen kommen, andere gehen. Wer sich nicht neu erfinden kann, wird früher oder später verschwinden. Das klingt vielleicht hart, ist aber so. Ich kenne viele Vereine und auch Sportvereine, die neue Angebote entwickeln, die mit der Zeit gehen. Das sind auch Vereine, die es schon seit 100 Jahren gibt. Ihre Tradition lebt in transformierter Form weiter. 

Hier sind ganz eindeutig Vereine, die verstärkt Netzwerkstrukturen nutzen, deutlich flexibler. Ein Netzwerk kann viel mehr abfedern als eine starre Struktur. Das passiert schon fast ganz automatisch. Wer sich an alte Strukturen zu sehr klammert, wird auch keinen Nachfolger im Verein finden.

Und ja, jeder kann sich ehrenamtlich engagieren, auch ohne Mitglied in einem Verein zu sein. Ein schönes Beispiel sind hier die Tafeln oder Menschen, die Nachhilfeunterricht geben. Vieles ist möglich und das finde ich super. Wir haben hier die Freiheit, uns zu engagieren und zu gestalten, wie wir mögen. Das ist ein wichtiger Wert unserer Gesellschaft. 

Siehst Du ein Themenfeld, in dem sich noch mehr Menschen ehrenamtlich engagieren sollten?

Offener Austausch und Miteinander

Annette Schwindt

Ja, alles, das einem positiven Austausch und dem besseren Kennenlernen zwischen den Menschen dient. Egal ob es da um Alter, Bildung, Behinderung, Herkunft, Glauben, sexuelle Orientierung oder anderes geht. Die Menschen müssen begreifen, dass Diversität etwas Gutes ist und auch für unser Überleben unabdinglich. Und dass wir einander wieder zuhören müssen, statt einander zu blocken. Das lernen sie aber nur, wenn sie sich miteinander offen austauschen können. 

Sind Vereine dafür in Zukunft die richtige Form? Oder entwickeln sie sich nur einfach weiter? Oder entsteht daraus etwas Neues? Du hast das BGB angesprochen: Da wird ja nicht viel vorgegeben, was die Ausgestaltung von Vereinen angeht. Es gibt also genug Spielraum, sich weiterzuentwickeln.

Wie sollte diese Weiterentwicklung dann konkret aussehen? Und gäbe es auch alternative Formen dazu und wenn ja, welche?

Entscheidend sind die Menschen

Falk Golinksy

Grundsätzlich ist es ein echter Mehrwert, dass das BGB nicht so viele Vorgaben macht. Hinzu kommt noch die Abgabenordnung (AO). Dort wird geregelt, welche Zwecke einen Verein dazu berechtigt, die Gemeinnützigkeit zu beantragen. Das ist eine Entscheidung des Vereins, ob dieser Weg gegangen werden soll. Hier gibt es Vor- und Nachteile, auf die möchte ich jedoch nicht weiter eingehen.

Der große Vorteil zur Nutzung der Vereinsform ist, dass er sich relativ einfach managen lässt und viel Spielraum bietet. Im Vergleich zu einer GmbH, die es auch als gemeinnützige Version gibt, hat ein Verein keine Berichtspflichten, kein Mindestkapital und die Formalien für das Steuerrecht sind überschaubar.

Der entscheidende Faktor sind die Menschen, die den Verein gestalten und damit auch das gesellschaftliche Umfeld des Vereins in Bewegung bringen können. Das ist bei jeder Organisationsform der Fall.

Wenn die Frage lautet: Wie kann ich mit geringem Aufwand einem Vorhaben eine rechtliche Struktur geben? Dann würde ich immer den Verein empfehlen, auch für die Zukunft. Mehr Handlungsfreiheiten mit gleichzeitiger Absicherung der Akteure hat keine andere Organisationsform. Das schafft viel Potenzial, um die zukünftigen Entwicklungen in einem Verein umzusetzen.

Der Weiterentwicklung eines Vereins sind damit keine Grenzen gesetzt. Die Grenzen liegen oft in der Vorstellungskraft, was möglich ist.

Ich kann und möchte hier keine allgemeingültige Empfehlung abgeben. Viel mehr den Impuls, dass es einen konkreten Bedarf oder Schmerzpunkt für eine Weiterentwicklung braucht, einen Auslöser. Dann kann es losgehen und der Verein kann sich transformieren. Vielleicht von einem eingestaubten Wesen zu einem modernen und dynamischen Ort, an dem Menschen gern Zeit verbringen und etwas Gutes tun.

Annette Schwindt

Das ist doch ein schönes Schlusswort. Danke, dass Du Dir die Zeit für dieses Bloggespräch genommen hast. Vielleicht regt es ja einige Leute dazu an, sich nochmal mit den Vereinen in ihrer Umgebung auseinanderzusetzen.

Über meinen Gesprächspartner

Falk Golinsky

Falk Golinsky beschäftigt sich schon seit über 20 Jahren mit der Vereinswelt und findet es ist immer wieder spannend zu sehen, welche Gestaltungsmöglichkeit dort vorhanden sind. Er unterstützt Vereine dabei, die eigenen Stärken zu entdecken und sich aus eigener Kraft weiterzuentwickeln. – golinsky.de 

Foto von Falk: Falk Golinsky
Avatar von Annette: tutticonfetti

In meiner Rubrik „Bloggespräche“ unterhalte ich mich mit einem Gegenüber über ein frei gewähltes Thema wie in einem Mini-Briefwechsel. Wer auch mal so ein Gespräch mit mir führen möchte, findet alle nötigen Infos dazu unter https://www.annetteschwindt.de/bloggespraeche/ und kann sich von dort direkt bei mir melden.


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