Wunschkonzert

von Annette Schwindt

Immer wird von den Freuden der Kindheit geredet, der Zeit der unbeschwerten, glückseligen Gedankenlosigkeit. Pustekuchen! Weiß denn keiner, dass wir uns schon im frühen Alter jeden Werktag pünktlich um die Mittagszeit mit den großen Fragen der Menschheit herumquälen mussten? Selbst heute noch kommt „immer wieder Sonntags“ „die Erinnerung. Dibbedibbedippdipp dipp“!

Jeden aber auch jeden Tag stand „ein Soldat am Wolgastrand“ und hielt „Wache für sein Vaterland“. Warum blieb er da und ging nicht einfach nach Hause? Und natürlich hieß es tagtäglich „La Montanara heeee, die Berge sie grüßen Dich“. Die kannten mich doch gar nicht. J-e-d-e-n Tag wurde die weltbewegende Frage aufgeworfen „Kennst Du die Perle, die Perle Tirols“, nur um dann gleich zu antworten „das Städtchen Kufstein, das kennst Du wohl“. Nein! Kannte ich nicht, verdammt nochmal!

Über die hinter dem Gedudel versteckten kriminellen Botschaften scheint sich bis heute keiner im klaren zu sein. Wer weiß, wer dadurch alles auf die schiefe Bahn geraten ist? „Die Kirschen in Nachbars Garten“ waren ja noch eine der kleineren Verlockungen, von denen da die Rede war. Aber das „Pferde stehlen“ kann nun wirklich nicht als harmloser Tatbestand gelten. Auch wenn er durch eine rüstige Seniorin idealisiert wurde, die sich ansonsten unauffällig dem „Äpfel schälen“ und „getröstet in der Naaaacht“ widmete. Ja, „das war Babicka“.

Fremdländische Worte tauchten hin und wieder auf und öffneten für einen Moment die Pforte zur großen weiten Welt unter „Millionen von Sternen“, auf der es zwar viel „Gut und Geld“ gebe, „aber Dich gibt’s nur einmal für mich“. Also doch zuhause bleiben und weiter zuhören. Da würde man aber nie erfahren was „Ti aaahmo“ und „Felitschitah“ bedeuteten. Scheiße! Und wo bitte ging es denn nun zur „Fiesta, fiesta mexicana“? Immer hatten nur die anderen ihren Spaß…

Wie konnte es auf „grünen Wiesen im Sonnenschein“ „dunkle Tannen“ geben? Herrschten auf der Alm am Ende andere Naturgesetze, „holleradiriiolleradiri“? Da blühte doch auch „so blau blau blau“ der Enzian „wenn beim Alpenglühn, wir uns wiedersehn“. Ja, genau so war’s: „Mit ihren ro-ro-ro-roten Lippen fing es an, die ich niih – iiiih – iiiiiih- iiiiiiih- IIIIIIIIIIIIIIIIH värrrgässän kann“. Was in aller Herrgottsnamen war dran an diesem infernalischen Gejaule?

Erwachsene Männer, so wurde uns zu allem Überfluss noch suggeriert, konnten all dem entfliehen und „ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude“ finden. Entweder in den Armen irgendeiner Frau, bei der man nicht bleiben musste, sondern ihr nur ins Ohr zu hauchen brauchte „Merci, merci, merci, für die Stunden chérie, chérie, chérie“. Oder man ging in „die kleine Kneipe in unserer Straße, da wo das Leben noch lebenswert ist“, denn da immerhin „fragt Dich keiner was Du hast oder bist“.

Gemein, gemein, gemein! Wir Kinder mussten derweil in der Küche neben dem Radio sitzen bleiben, wenn wir ein Mittagessen haben wollten. Und dabei hieß es immer „besser frrrrai wie ein Vogöl su läääääbön, als im goldönön Kääääääfisch suuhuuuu saaaaaaaaaaaaaaiiiiiiiiiiin“.

Hätten die Großen doch besser hingehört. Denn zwischen all dem Gesülze gab es eine unumstößliche und für alle Zeiten geltende Wahrheit: „Dreh Dich einmal um, schau in iiiihr Gesicht. Und Du verstehst, Trääänen lüüügen nicht!“

HOSSA!

Creative Commons License


Diesen Beitrag weitersagen:

Eine Antwort auf „Wunschkonzert“

Schreibe einen Kommentar zu Ohne Musik geht es nicht – Ein Gespräch mit Rouven Kasten | Annette Schwindt Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert