Grüße aus der Männer-WG

von Annette Schwindt

Dies ist ein Auszug aus einem Brief, den ich zu Uni-Zeiten, Mitte der 90er Jahre, an meine beste Freundin geschrieben habe:

Ich befinde mich gerade zu Besuch in der Männer-WG meines Exfreundes.

Männer! Das heißt hier solche, die sich für welche halten und so tun, als wären Frauen nur dazu da, sie (die „Männer“) zu bewundern und es ordentlich besorgt zu bekommen. Die ganze Wohnung hängt voller H&M-Poster (die überdimensionalen) von spärlich bekleideten Models (natürlich weiblichen), oder, wenn noch Platz ist, Auto-Werbeposter, Auto-Kalender, variiert mit Strandansichten zum Thema: Beaten paths are for beaten men!

Da es sich hier um eine spezielle Unterart der Gattung „Männer“-WG handelt, nämlich einer Mediziner-WG (bestehend aus 3 Exemplaren), wird hier alles gewürzt durch Pschyrembel & Co., Ultraschallstreifen an der Wand usw. Ach ja! Und der Packung Einweg-Latex-Handschuhe neben dem Kopfkissen!

Der Fernseher, der unmittelbar vor dem Bett steht, hat 32 Kanäle, die Megastereoanlage („special edition“) fönt Dir Techno um die Ohren, so daß das Bild vom blonden Gift, mit dem „Mann“ eine „Nichtbeziehung“ hat (oder nicht, oder doch, oder was jetzt?), Dir hüpfend entgegenkommt.

An der Wand eine Remington-Steele-mäßige Fotogalerie von „Mann“ mit Boot, mit Gletscher, mit Mami und Papi, mit blondem Gift – Ha! Ich habe gerade das spirituelle Zentrum entdeckt! Unter dem Fernseher: Der Bierkasten! Ich glaub’s nicht! Das ist absolut „legendär“ (das ist das Lieblingswort der „Männer“ hier)!

Ich habe die Jungs heute abend allein auf die Piste geschickt. Die werden jetzt „Torten“ (oder war es „Tanten“?) beglotzen und darüber nachdenken, ob sie ein Höschen tragen oder nicht! Das ist kein Witz, sondern eines der Gesprächsthemen beim Essen, wenn nicht gerade über eitrige Gallenblasenflüssigkeit gesprochen wird.

In Sachen „Männer“-WG muß noch die zwangsläufige „Reinlichkeit“ erwähnt werden: Erster Hinweis meines Exfreundes für die Küchennutzung (und das ist kein Scherz): „Nicht den großen Kühlschrank öffnen, das haben wir schon seit 3 Jahren nicht gemacht!“ Im Bad hüpft man am besten von Vorleger zu Vorleger, in die Dusche traue ich mich nicht und in der Küche (nebst s.o.) stapeln sich benutzte Teller, Gläser, Tassen zwischen vermutlich vor Jahrhunderten zuletzt gewaschenen Handtüchern und völlig verdrecktem Herd. Da hilft kein Meister Proper – und außerdem: der ist doch auch ein Mann!

Eines der Highlights war auch die Diashow in Sachen USA-Urlaub! Da waren die Jungs beim Grand Canyon und haben sich gefühlt „wie ein Cowboy, echt da so, legendär sag ich Dir“… Wenn man das sieht, ist man froh, daß man keinen solchen everpubertierenden Bubi bekommen hat. Die Hölle! Mit lebendem Kühlschrank, Einweghandschuhen und spirituellem Zentrum – RRRÜLPS! Das glaubt man nie, wenn man’s nicht gesehen hat! Ach ja, Einlass nur mit Handy, denn ohne das geht gar nichts! Wäre ja „superätzend“, so ein „Teil“ ist schließlich „megastark“!

Ein linguistischer Materialberg hier! Neben dem von Zeitschriften über Autos, Genforschung und Baywatch! An der Wand eine Plastikschneemännerleuchtkette, daneben ein dicker, völlig verdreckter Spiegel und ein Riesenleuchter fürs „feeling“.

Wäre doch nur jemand hier, um mit mir die Gegenkampagne zu starten! Intellektuelles Geplänkel über den cerebralen abusus beim homo erectus!

Jedenfalls liebe Grüße aus der „Männer“-WG (und ich muss nicht putzen – wie idyllisch!).

 

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